Ronald Putzker: Zehn Punkte für Uganda

Ende des letzten Jahrtausends war der Wiener Ronald Putzker qualitativ und quantitativ mit Serien wie Anna Stein oder Alben wie Einsam stirbt Kolumbus in der deutschsprachigen Comiclandschaft sehr stark vertreten. Ich hoffe, ich tue ihm nicht unrecht, wenn ich das Album Zehn Punkte für Uganda als sein Comic-Comeback bezeichne.

Die vom auch als Kabarettautor tätigen Ferdinand Rieder geschriebene Geschichte spielt im Sommer 1985 im österreichischen Weinviertel, bietet viel Lokalkolorit, enthält aber auch ein Stück globale Historie. Hauptfigur ist der noch nicht ganz erwachsene Student Stefan Pribil, der auf dem Fußballplatz seines Heimatortes Unterolberndorf ein Rockkonzert mit Ostbahn-Kurti & Die Chefpartie veranstalten möchte.

Wie es der Zufall so will, zeichnete Ronald Putzker 1978 für diese Band nicht nur das Cover für die LP Liagn & Lochn, sondern auch eine Comicbeilage dazu. Doch zurück zu Stefan Pribil. Dieser leiht sich für das Konzert Geld bei der Wiener Halbweltgröße Charly. Als der Auftritt der Dialekt-Rocker wegen Regen abgesagt werden muss, gerät Stefan in große Schwierigkeiten…

Der Comic handelt aber auch vom Afrikaner Ben, den es nach Unterolberndorf verschlagen hat. Genau wie Stefan interessiert sich Ben sowohl für Fußball als auch für die äußerst attraktive Monika. Doch die Weltgeschichte verhindert ein Eifersuchtsdrama, denn Ben organisiert im Hinterzimmer des Gasthauses zum Grünen Jäger ein Trefen, das nicht ohne weitreichende Folgen blieb.

Im Wirtshaus stellt er zusammen mit einigen Männern, die genau wie er vor Idi Amin aus Uganda geflüchtet sind, ein “10-Punkte-Programm“ zur Wiederherstellung der dortigen Demokratie auf. Zu dieser Gruppe gehört auch Yoweri Museveni, der 1986 zum Präsidenten von Uganda wurde (und leider auch nicht sehr viel demokratischer als sein Vorgänger agierte).

Zehn Punkte für Uganda vermittelt sehr gut die damalige Atmosphäre, auch weil der Comic durch Putkers ausgereiften Retrostil fast so wirkt, als wäre er 1985 entstanden ist. Ferdinand Rieders Geschichte funktioniert sowohl auf der zwischenmenschlichen als auch auf der politischen Ebene und ein achtseitiger, äußerst informativer Anhang vertieft die anregende Lektüre.

Heiner Lünstedt

“Zehn Punkte für Uganda“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Die Minimenschen

Alle Bewohner des französischen Provinzdorfes Rajevol werden durch den Kontakt mit einem Meteoritenstein auf eine Größe von knapp 15 cm geschrumpft. Doch sie verzweifeln nicht, sondern durch die Genialität von Professors Joachim Hundegger richten sie sich ihre futuristische Miniwelt Eslapion ein.

Der 1942 geborene Pierre Seron absolvierte seine Lehrjahre im Studio von Dino Attanasio (Mausi und Paul) und sein Stil erinnert an den großen André Franquin, wobei es jedoch nicht stimmt, dass er diesen bei der Traditionsreihe Spirou und Fantasio beerben sollte.

Stattdessen startete er 1967 in Ausgabe 1534 des Journal de Spirou mit Les Petits Hommes seine eigene Serie. Diese erschien in Deutschland erstmals 1970 in Rolf Kaukas Fix & Foxi und danach bei vielen anderen Verlagen, einmal sogar unter dem merkwürdigen Namen Herbie Huppser und die Mikronauten, bevor sich schließlich der deutsche Titel Die Minimenschen einbürgerte.

Die Produktivität des 2017 verstorbenen Pierre Seron war ungebrochen. In Frankreich liegen 44 Bände seiner Serie vor. Der Stefan Riedl Verlag hat eine auf elf Bände angelegte chronologisch geordnete Gesamtausgabe der Minimenschen gestartet Neben den ersten acht Geschichten der Serie enthält der erste Sammelband auf dreizehn opulent bebilderten Seiten eine fundierte Einführung von Rodolphe Lachat in die Welt der Minimenschen.

Parallel dazu hat Stefan Riedl auch eine zweibändige Gesamtausgabe der ebenfalls Pierre Seron stammenden etwas freizügigeren Serie Die Minimädchen veröffentlicht. Zu allen Bänden gibt es auf 100 Exemplare limitierte Vorzugsausgaben, denen ein Druck beiliegt.

Heiner Lünstedt

„Die Minimenschen Gesamtausgabe 1“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Marvel Comics Library – Spider-Man 2

Nachdem Taschen im ersten Band seiner pompös aufgemachten Reihe Marvel Comics Library die erste Hälfte der legendären Spider-Man-Hefte Stan Lee und Steve Ditko präsentierte, folgt jetzt der Abschluss dieser kurzen aber fruchtbaren Zusammenarbeit. Genau wie zuvor bereits bei den Fantastic Four und danach bei zahlreichen weiteren Marvel-Klassikern, wie den Avengers oder den X-Men, war beim Spinnenmenschen ebenfalls Jack Kirby als Zeichner vorgesehen.

Von diesem stammt auch das legendäre Cover des Heftes Amazing Fantasy 15, in dem Spider-Man seinen ersten Auftritt hatte. Doch die darin enthaltene Geschichte, die auf elf Seiten erzählte, wie der Schüler Peter Parker zu seinen Superkräfte kam, zeichnete Steve Ditko. Stan Lee hielt ihn für besser geeignet, als den auf überlebensgroße Helden und Schurken spezialisierten Kirby, um die Erlebnisse eines kontaktscheuen Schülers in Szene zu setzen, der plötzlich ebenso große Macht wie Verantwortung hat.

Der gewaltige Erfolg von Spider-Man gab Lee recht. Doch nach 38 Heften mochte Ditko nicht mehr. Warum er aufhörte Spider-Man zu zeichnen, wird wohl für immer eins der größten Mysterien der Comicbranche bleiben. Auch später als er in Credits von Blockbustern gemeinsam mit Stan Lee als Schöpfer von Spider-Man genannt wurde, ließ sich Ditko nicht zu Interviews oder Statements bewegen.

Taschen hat auch für diese 620-seitige Edition alles drangesetzt, um die Comichefte so originalgetreu wie möglich abzudrucken. Für die Reproduktionen der Cover und Backcover wurde Hochglanzpapier und für die Innenseiten Offsetpapier mit matter Oberfläche verwendet. Auf diese Weise kommen die Comics – inklusive der Leserbriefe und Werbeanzeigen – in einem Hardcoverband in englischer Sprache im Format von 28 x 39,5 cm zum Abdruck, also doppelt so groß wie einst die Originalhefte. Als Beigabe gibt es eine Übersicht mit Inhaltsangaben, sowie Hinweise auf die Besonderheiten der enthaltenen Ausgaben. Hierbei handelt es sich um die 1965 und 1966 erschienenen Hefte 20 bis 38, sowie das Spider-Man Annual No. 2.

Bemerkenswert an diesem Band ist, dass der prominent angekündigte Vorwortschreiber diesmal nicht nur zwei Seiten mit persönlichen Erinnerungen gefüllt hat, sondern auch fachlich einiges geliefert hat. Jonathan Ross ist eine der interessanten Persönlichkeiten in der britischen Entertainment-Branche. Ich hatte das große Glück ihn einige Male als Moderator auf dem San Diego Comic Con zu erleben und war von seiner verbalen Brillanz, seiner Schlagfertigkeit und seiner jederzeit spürbaren Liebe zur Trivialkultur beeindruckt. Außerdem besitzt Ross eine der größten Comic-Sammlungen der Welt und hat die Superheldenparodie America’s got Talent geschrieben. Diesen Prachtband garniert Ross auf zwölf Seiten mit einer ebenso fundierten wie pointierten Einleitung.

Die Ditko-Nachfolge trat übrigens John Romita Sr. an, dessen großartigen Spider-Man-Comics hoffentlich auch bald in einer Ausgabe der Marvel Comic Library zu bestaunen sein werden.

Heiner Lünstedt

„Marvel Comics Library. Spider-Man. Vol. 2. 1965–1966“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Die Freunde von Spirou

In den letzten Jahren wurde immer seltener versucht, die etwas angestaubte Figur des heldenhaften Pagen zu modernisieren. So zeichnete das aktuelle Album Der Tod von Spirou der sich eher klassisch an der Ligne Claire orientierende Olivier Schwartz. Statt Spirou zu erneuern, wurde in letzter Zeit immer wieder zurückgekehrt zu den Wurzeln der Serie und der Zeit, in der diese Figur entstanden ist.

So erzählte Émile Bravo wie Spirou Ende der 30er-Jahre als junger Tor tatsächlich als Page tätig war und ließ ihn in seinem 350-seitiges Epos Spirou oder die Hoffnung. vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs zum umsichtigen Menschen mit Gewissen reifen. Außerdem wurden Abenteuer veröffentlicht, in denen der junge Graf Rummelsdorf die Nazis bekämpfte.

2018 erschien mit Sein Name war Ptirou ein Spirou-Album ohne Spirou und seine Freunde. Die Geschichte spielte Ende der 20er-Jahre an Bord eines Transatlantikdampfers und erzählt davon, wie der zur Crew gehörende Robert Velter alias Rob-Vel durch einen heldenhaften Schiffsjungen zu seiner Comicfigur Spirou inspiriert wurde. Mit Mademoiselle J. – Eine Frau. Ein Jahrhundert wurde eine Fortsetzung von Sein Name war Ptirou veröffentlicht, in deren Zentrum eine junge Frau steht, die 1937 für eine linke Zeitung schreibt und den Kampf gegen den Faschismus unterstützt.

In dieselbe Richtung geht auch der Comic Die Freunde von Spirou. Hier treten die beliebten Figuren der Serie ebenfalls gar nicht auf. Im Zentrum der an tatsächlicher Ereignissen orientierten Geschichte stehen einige junge Fans der Comicserie, die Ende der 30er-Jahre dem Club Les amis de Spirou (ADS) beigetreten sind. Dieser wurde 1939 vier Wochen nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe des Le Journal de Spirou vom damaligen Chefredakteur Jean Doisy ins Leben gerufen.

Mitglieder erhielten neben einem Vereinsabzeichen auch ein kleines rosafarbenes Faltblatt mit einem aus neun Geboten bestehenden Ehrenkodex, der definiert, wie sich ein Freund von Spirou zu verhalten hat. Das Brevier enthielt auch einen “Schlüssel zur Geheimsprache des Clubs“ zum Versenden und Empfangen von geheimen Nachrichten.

Die in Spirou vermittelten Ideale versuchten viele Jugendliche auch während der deutschen Besetzung Belgiens mit Leben zu erfüllen und engagierten sich daher – genau wie Jean Doisy – im Widerstand. Gleich nach Kriegsende veröffentlichte Doisy im Wochenmagazin Le Moustique einen Nachruf auf zwei amis de Spirou, die im Kampf gegen die Besatzer ums Leben gekommen sind.

In einer Rahmenhandlung des Comics tritt Doisy persönlich auf. Er gedenkt nach Kriegsende auf dem Friedhof von Marcinelle vor zwei Grabsteinen den ermordeten Untergrundkämpfern. Dabei bleibt unklar, ob sich dabei um zwei der jugendlichen Hauptfiguren der Geschichte handelt, die gegen die deutschen Besatzer und die Mitglieder der Jugendorganisation der faschistischen Rexistischen Partei gekämpft haben.

Alle Abbildungen: © DUPUIS 2023 BY MORVAN, EVRARD, BEN BK

Der erste Band der Serie trägt den Titel “Ein Freund von Spirou ist offen und ehrlich…“ Dies ist auch das erste der neun Gebote von Jean Doisys Ehrenkodex der ADS. Somit darf auf acht weitere Alben gehofft werden, die Jean-David Morvan (Spirou in Tokyo, Madeleine, die Widerständige) ebenso spannend wie humorvoll schreiben und David Evrad ähnlich rotzig in Szene setzen wird.

Heiner Lünstedt

„Die Freunde von Spirou – Band 1: Ein Freund von Spirou ist offen und ehrlich… “ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Der Killer: Secret Agenda

So richtig verstanden hat das Team von David Fincher nicht, worin der spezielle Reiz, der von Matz alias Alexis Nolent geschriebenen und von Luc Jacamon spektakulär bebilderten Comicserie Der Killer besteht. In Finchers gleichnamigen Netflix-Film ist Michael Fassbender in der Titelrolle meistens damit beschäftigt, beim Warten auf den richtigen Tötungs-Moment immer und immer wieder sein selbstverfasstes Lebensregelwerk aufzusagen.

Im Comic hingegen macht sich der namenslose Killer während des nervenaufreibenden Belauerns seiner Opfer buchstäblich Gedanken über Gott und die Welt. Er grübelt über den Sinn von Religionen oder sucht nach historischen Figuren, die sehr viel mehr Menschen als ein erfolgreicher Auftragskiller auf dem Gewissen haben. Breiten Raum im Gedankengebäude des Killers nimmt auch sein Unverständnis darüber ein, dass sich so viele Menschen unterordnen, um einen 9-to-5-Job ausüben zu dürfen.

Eine der bittersten Pointen der Serie ist, dass in der Fortsetzung Der Killer: Secret Agenda die schlimmsten Alpträume der Hauptfigur wahr werden. Auf Druck des französischen Auslandsgeheimdienstes wird der Killer gezwungen in Le Havre eine langweilige Bürotätigkeit auszuüben. Dies geschieht zwar im Rahmen eines Undercover-Jobs, doch für den Killer ist schwer abzusehen, was der Zweck seiner Mission ist und an wem er die angekündigte “gezielte Prävention“ ausüben soll.

Schreiber & Leser hat die 13 Alben von Der Killer in drei schönen Hardcoverbüchern mit Lesebändchen veröffentlicht, wobei Band 1 noch einen Anhang mit interessanten Texten und Bildern enthält. Die noch nicht abgeschlossene Fortsetzungsserie Der Killer: Secret Agenda wird in Form von gebundenen Alben veröffentlicht, von denen bisher vier erschienen sind, die gespannt auf den weiteren Verlauf der Geschichte machen.

Heiner Lünstedt

“Der Killer – Secret Agenda 1: Gezielte Prävention“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

I. Astalos: Märchen, wie seine keiner kennt

Zu den bekanntesten Werken von Ivica Astalos gehören seine schrägen Märchenparodien, die oft die Rückseite der deutschen Ausgabe des Satiremagazins MAD zierten. Astalos brachte bereits eine komplett neugezeichnete Ausgabe seines Klassiker, Das MAD-Buch der Technik, im Eigenverlag heraus. Anschließend nahm er sich sein 1982 erschienenes MAD-Buch der Märchen wie sie keiner kennt vor. Dieses Buch musste er nicht nochmal zeichnen, da sich alle Originale in seinem Besitz befinden.

Dennoch nahm er Änderungen vor. Auch diesmal ließ er auf dem Titelbild den MAD-Schriftzug weg und pries das Taschenbuch stattdessen als MADIGE SATIRE an. Den Alfred E. Neumann auf dem Cover der Erstausgabe ersetzte er durch eine Eigenkarikatur.

Die vierzig Jahre alten Gags, die sich über die bereits damals alles andere als märchenhafte Gegenwart lustig machten, zünden immer noch. Nur in einem Beitrag zum Kapitel “Märchen, die gar keine sein dürften“ musste Astalos seinen Humor nachjustieren.

“Das Märchen von der fairen Wehrdienst-Kommission“ erschien nicht mehr zeitgemäß, da es hierzulande (zurzeit?) nicht mehr erforderlich ist, bei Bedarf den Dienst an der Waffe zu verweigern.

Stattdessen erfand Astalos “Das Märchen von der fairen DSDS-Jury“, die aus “kompetenten, netten und fairen Menschen bestand“, die die Kandidaten nach ihrer Stimme bewerten und “keine gemeinen Kommentare“ abgeben.

Erschreckend aktuell ist ein unverändert aus dem MAD-Taschenbuch von 1982 übernommener Beitrag aus dem Kapitel “Berühmte Worte, die sich hinterher als Märchen entpuppten…“ In diesem Cartoon sprach Moses nach Überwindung des Roten Meeres zu den Juden: “Hier wird unser Volk für alle Zukunft sicher und in Frieden leben!“

Dieses zeitlose Klassiker, sowie die anderen Werke von Astalos können hier direkt beim Erzeuger bestellt werden. Wer sich auf diese Rezension beruft, dem zeichnet I. Astalos ein ähnlich schönes Bildchen wie das Obenstehende in das Büchlein.

Heiner Lünstedt

 „Frittenbudenzauber“ von Astalos bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Genossin Kuckuck

Durch Goldprägung und Goldschnitt suggeriert das neue Buch von Anke Feuchtenberger bereits auf den ersten Blick, das hier keine leichte Kost geboten wird. Parallel zu ihrer Tätigkeit als Dozentin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg arbeitete die Künstlerin dreizehn Jahre lang an Genossin Kuckuck und das 400-seitige Resultat eignet sich nicht zum raschen Binge-Reading.

Während der Lektüre benötigte ich immer wieder kleine Pausen, um nachzuvollziehen, warum die Freundschaft zwischen den – immer wieder komplett anders aussehenden – Freundinnen Kerstin und Effi so problematisch war. Genossin Kuckuck ist teilweise autobiografisch und in einem Künstlergespräch im Rahmen der Comic-Lese-Woche in Dortmund sagte Feuchtenberger sinngemäß, dass in ihrem Leben positive Momente aufbauend waren, während sie negative Erlebnisse künstlerisch aufgearbeitet hatte.

In diesem Sinne ist der Comic eine sehr persönliche unchronologisch geschilderte Chronik vom Erwachsenwerdens in der ländlichen DDR. „Feuchtenbergerowa“ erzählt von der Nachkriegszeit, in der sich Effis Mutter Rosi Gesicht und Zähne mit Schmutz beschmierte, um ihre Attraktivität vor den russischen Befreiern zu verbergen, aber auch von der Aufregung der älteren Dorfbevölkerung über die ständig wachsende Anzahl jugendlicher Demonstranten.

Ursprünglich sollte das Buch “Ein deutsches Tier im deutschen Wald“ heißen, doch inspiriert von Robert Wyatts Song Cuckoo Madame fand Feuchtenberger einen griffigeren Titel. Die chaotisch anmutende Erzählstruktur der 40 Kapitel von Genossin Kuckuck wechselt zwischen Prosatexten und in unterschiedlichen Stilen gezeichneten Comicpassagen. Als Inspiration diente hierbei David Lynchs enigmatischer Dreistunden-Trip Inland Empire.

Auch die zahlreichen Leitmotive des Comics, wie Schnecken, Pilze, Gänse, Wälder, Tümpel, präparierte Tierköpfe, ein sprechender Mülleimer oder Wesen, die auf einer bemalten Teekanne leben, sowie das mysteriöse Plasma-Singen lassen, an die Filmwelten von David Lynch denken.

Genossin Kuckuck ist ein faszinierend vielschichtiges Buch, das seine prächtige Aufmachung mehr als verdient hat.

Heiner Lünstedt

„Genossin Kuckuck“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Dr. Strange – Marvel Origins

Eine sehr schön aufgemachte “Vintage Collection“ mit Mediabook von Turbine Medien enthält drei TV-Produktionen mit Marvel-Helden, die Ende der 70er-Jahre entstanden sind. Die Box wurde mit in drei auf jeweils 500 Exemplare limitierten Editionen mit verschiedenen Covern veröffentlicht und dürfte Comicfreunden viel Freude bereiten.

Cover A

Das Kernstück dieser Collection ist Dr. Strange von 1978, der bei uns seine Premiere nicht im Fernsehen, sondern 1986 auf VHS erlebte und nie auf DVD erschienen ist. Umso überraschender ist, dass Turbine diese Rarität in bester Bildqualität auf Blu-ray präsentiert.

VHS

Fast vier Jahrzehnte bevor Benedict Cumberbatch Marvel Cinematic Universe erstmals als Doctor Strange zu sehen war, legte Peter Hooten die Rolle sehr viel weniger arrogant an. Der nach diesem TV-Film nicht weiter aufgefallene Darsteller ist als Dr. Stephen Strange ein scheinbar ganz normale Arzt vom Krankenhaus nebenan. Dieser sympathische Zeitgenosse erfährt von einem 700-jährigen Magier, der als Thomas Lindner in New York lebt, dass er ebenfalls über Zauberkräfte verfügt.

Peter Hooten

Lindner wird vom britischen Oscar-Preisträger Sir John Mills gespielt und als schurkische Morgan Le Fay ist Jessica Walter zu sehen, die für ihre Leistung als Gegenspielerin von Clint Eastwoods in dessen ersten Regiearbeit Sadistico eine Golden-Globe-Nominierung erhielt.

Peter Hooten mit Sir John Mill

Die Spezialeffekte des TV-Films wirken billig und waren es wohl auch. Dennoch wurde das Budget überzogen und die Quoten bei der Ausstrahlung überzeugten nicht. Daher kam eine ursprünglich geplante Serie mit Dr. Strange nicht zustanden. Doch der Film kann immer noch ganz gut unterhalten und erhielt seinerzeit sogar viel Lob von Marvel-Legende Stan Lee.

Cover B

Vor dem aufwändigen Kinofilm von 2011 gab es einige weitere Versuche Captain America ins Kino oder auf die Bildröhre zu bringen. So entstand bereits 1944 ein 15-teiliges Captain America-Serial, das dem Publikum in den US-Kinos stückchenweise vor dem jeweiligen Hauptfilm gezeigt wurde. 1990 sollte der 50. Geburtstag von Captain America mit einem halbwegs werkgetreuen Kinofilm von Albert Pyun gefeiert werden, der dann jedoch nur auf Video veröffentlicht wurde.

Zwischen dem Serial und dem Möchtegern-Kinofilm wurde auch noch versucht Captain America zum Helden einer TV-Serie zu machen. 1979 entstand ein 94-minütiger Pilotfilm mit dem nicht völlig unsympathischen ehemaligen Footballer und Boxer Reb Brown in der Titelrolle. Der Film vereinfachte die Entstehungsgeschichte des Marvel-Helden stark und verlegte sie komplett in die damalige Gegenwart.

Steve Rogers ist hier der Sohn des ursprünglichen Captain America und wenig mehr als ein naher Verwandter des damals im TV populären Sechs Millionen Dollar Mann, der auf einem schnittigen Motorrad durch die Gegend braust. Für Marvel-Fans ist es dennoch sehr erfreulich, dass Turbine diesen Film auf DVD präsentiert.

Cover C

Ebenfalls in der Vintage Collection enthalten ist die ebenfalls 1979 entstandene Fortsetzung Captain America II: Death Too Soon. Für diesem zweiten und etwas besseren ebenfalls 94-minütigen Marvel-Film mit Reb Brown konnte immerhin “Dracula“ Christopher Lee für die Schurkenrolle des Terroristen “General Miguel“ gewonnen werden, doch auch hier kam eine geplante Serie kam nicht zustande.

Christopher Lee

Turbine präsentiert Captain America II als Deutschlandpremiere erstmals auf DVD. Da keine deutsche Synchronisation existiert, ist nur der Originalton mit optionalen deutschen oder englischen Untertiteln enthalten.

Die Box enthält als Bonus lediglich die Trailer zu den drei Filmen. Auf der Blu-ray zu Dr. Strange ist auch ein deutscher Trailer zu sehen. Im 56-seitigen, reich und interessant bebilderten Booklet informiert Tobias Hohmann ausführlich über die Marvel-TV-Serien der 70er-Jahre, zu denen auch die gelungene Adaption von The Incredible Hulk mit Bill Bixby und Lou Ferrigno gehört. Ab 1977 entstand auch eine Spider-Man-Serie mit Nicolas Hammond von der einige Episoden zu drei Spielfilmen zusammengeschnitten wurden, die in unseren Kinos liefen. Vielleicht veröffentlicht Turbine hierzu ja eine ebenso schöne Mediabook-Edition.

Heiner Lünstedt

„Marvel Origins“ als Mediabook mit Cover A bei TURBINE bestellen, hier anklicken

„Marvel Origins“ als Mediabook mit Cover B bei TURBINE bestellen, hier anklicken

„Marvel Origins“ als Mediabook mit Cover C bei TURBINE bestellen, hier anklicken

Die Bestie 2

Mit Die Bestie erschien 2020 ein Album, das für die Entwicklung der Figur des Marsupilamis eine ähnliche Bedeutung haben dürfte, wie Emilé Bravos Spirou-Comics für den zuvor kaum charakterisierten belgischen Pagen. Bei Bravo war Spirou Anno 1939 noch ein “junger Tor“ und wurde vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs im Verlaufe eines vierbändigen Epos zur verantwortungsbewussten Identifikationsfigur.

Auch Die Bestie geizt nicht mit finsteren Elementen. Der erste Band beginnt mit einem knapp zwanzigseitigen Prolog. In braunschwarzen Bildern zeigt Frank Pé (Jonas Valentin, Zoo) die düstere Szenerie an Bord des heruntergekommenen Frachters, der exotische Tiere für den Zoo von Antwerpen transportierte. An Bord hat anscheinen eine besonders grausame Bestie nur dadurch überlebt, dass sie sich von dem ebenfalls im Frachtraum befindenden Papageien und Affen ernährte.

Bei der “Bestie“ handelt es sich um einen Artgenossen jenes Marsupilamis, das Spirou und Fantasio 1951 im Comic Eine aufregende Erbschaft im Dschungel von Palumbien entdeckt hatten. Die Bestie spielt kurz danach in Brüssel und konfrontiert ein ungewöhnlich wildes Marsupilami mit dem Jungen François, der sich aufopfernd um geschundene Kreaturen kümmert und zum Entsetzen seiner Mutter Jeanne daheim eine ganze Menagerie beherbergt.

Texter von Die Bestie ist Benoît Drousie, der unter dem Pseudonym Zidrou Comicklassiker wie Rick Master oder Percy Pickwick fortgeführt hat und für den Zeichner Jordi Lafebre die zu Herzen gehenden Geschichten Lydie und Wundervolle Sommer schieb. Zidrou geht nicht eben pfleglich mit dem kleinen François um. Da dessen Vater ein Soldat der deutschen Wehrmacht war, der nach dem Krieg in seine Heimat zurückkehrte, rasieren ihm einige rabiate Mitschüler den Schädel. Ähnliches wiederfuhr nach dem Krieg Frauen, die mit den Besatzern fraternisiert hatten.

Der zweite Band von Die Bestie ist etwas weniger finster. Hierin geht es hauptsächlich um die Suche nach François und dem Marsupilami. Frank Pé gelingen einige turbulent in Szene gesetzte Verfolgungsjagden, aber auch großartige Bilder vom weihnachtlich geschmückten Brüssel. Zu den Schauplätzen gehört jenes Jugendstil-Kaufhaus, das heute das Comicmuseum Centre Belge de la Bande Dessinée beherbergt. Großartig ist auch die auf einer Doppelseite dargestellte Sequenz, in der das Marsupilami auf Hergés Tim trifft.

Alle Abbildungen © Dupuis / Carlsen

Dabei handelt es sich um eine Puppe, die Teil eines Schaufensters ist, das mit Szenen aus Tim und der Sonnentempel dekoriert wurde. Am Rande der spannenden Action erzählt Zidrou aber auch eine zartbittere Liebegeschichte.

Hierin geht es um Monsieur Boniface, den Lehrer von François. Dieser liebenswerte, nicht mehr ganz junge Sonderling erinnert durch seine schrullige Erfindung des zum Lachen anregenden Hilarions an André Franquins Chaoten Gaston. Monsieur Boniface fühlt sich zur Mutter von François hingezogen. Eine Weile besteht hier durchaus Hoffnung und Jeanne scheint die Gefühle des erfinderischen Pädagogen zu erwidern.

Doch dann kommt ihm ein schneidiger Gendarm in den Weg, der nicht nur über Muskelmassen, sondern auch noch über Humor verfügt. Bedauernd muss Jeanne feststellten, dass sie sich – trotz ihrer sehr bitteren Erfahrungen – immer noch zu Uniformen hingezogen fühlt. Was soll man dazu noch sagen?

Heiner Lünstedt

“Die Bestie – Band 1” bei AMAZON bestellen, hier anklicken

“Die Bestie – Band 2” bei AMAZON bestellen, hier anklicken

Tanguy und Laverdure Collector’s Edition 3

Der dritte Band der Collector’s Edition der klassischen Fliegerserie Michel Tanguy enthält die letzten drei der insgesamt acht von Albert Uderzo gezeichneten Alben, die ihre Premiere im Magazin Pilote erlebten. Den Sammelband eröffnet der Zweiteiler Canon Bleu antwortet nicht mehr und Cap Zero, der dramatische Szenen in eisiger Umgebung enthält.

In dieser ansonsten sehr spannend erzählten Geschichte verwundert etwas, dass der Autor Jean-Michel Charlier – der später im Western-Comic Blueberry meist auf der Seite der Indianer stehen sollte – hier mit der arktischen Urbevölkerung teilweise ganz schön rüde umspringt.

Nicht nur schurkische Figuren, sondern auch der Titelheld Mick Tanguy bezeichnen einen Eskimo als “Pelzkittel“, “abgekürzter Walfisch“ oder “Kerzenfresser“. Doch immerhin ist es später ein heldenhafter Inuit, der Tanguy das Leben rettet.

Dass die Serie, die durchaus als Comicgegenstück zu Top Gun bezeichnet werden kann, auch heute noch bestens unterhält, liegt vor allem am bereits Anfang der 60er-Jahre voll ausgereiften Zeichenstil von Albert Uderzo. Dieser zeichnete zeitgleich zur realistisch in Szene gesetzten Fliegerserie auch noch Comicseiten für Asterix und Umpah-Pah. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass die frühen Abenteuer von Mick Tanguy auch immer wieder großartig in Szene gesetzte humoristische Einlagen mit dem nicht nur tollkühnen, sondern auch tollpatschigen Piloten Ernest Laverdure enthalten. Mit dieser liebenswerten Figur hat sich Uderzo selbst karikiert.

Ganz im Gegensatz zu den frankobelgischen Fliegercomics Buck Danny oder Dan Cooper geht es in Mick Tanguy nicht nur um die Zurschaustellung von technischem Gerät, sondern neben dem oft in Richtung Slapstick gehenden Humor sind auch die von Uderzo sehr attraktiv zu Papier gebrachten Damen, mit denen sich Laverdure verabredet, eine willkommene Abwechslung zur militärischen Männerwelt.

Daher ist es sehr schade, dass Uderzo 1966 seine Arbeit an Mick Tanguy einstellte. Doch ein Wochenpensum von fünf Comicseiten pro Woche war für ihn nicht mehr zu bewältigen, auch wenn ihm sein Bruder Marcel (Mathias erzählt) bei der Fliegerserie assistierte. Uderzo beauftragte daher Jean Giraud, der damals noch nicht Moebius war, mit einer Probeseite für das letzte Tanguy-Album Piraten des Himmels.

Hier sprang Jean Giraud ein

Diese kam auch in Pilote zum Abdruck, doch Uderzo ahnte schon, dass Giraud kein großes Interesse daran hatte, Flugzeuge zu zeichnen und teilte ihn eine Seite ohne Luftkämpfe zu. Statt Giraud übernahm schließlich Jijé (Jerry Spring, Valhardi) die Serie.

Erstes Album von Jijé

Dieser Band enthält ein interessantes Interview mit Uderzo, der es für keine gute Idee hielt, dass Jijé das Aussehen von Mick Tanguy und Ernest Laverdure änderte, damit sie mehr den Darstellern Jacques Santi und Christian Marin (Der Gendarm von Saint Tropez) ähneln, die deren Rollen seinerzeit in der erfolgreichen TV-Serie Les Chevaliers du ciel spielten.

Diese ist heute schon lange vergessen, während die Comics – wie Egmonds Collector’s Edition und deren bereits vergriffenen Vorgänger belegen – auch heute noch ihr Publikum finden.

Heiner Lünstedt

„Tanguy und Laverdure Collector’s Edition 03: Cape Zero“ bei AMAZON bestellen, hier anklicken

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner