Ghibliothek

Eines Tages stellte Michael Leader fest, dass es “eine unfassbare gewaltige Lücke im kulturellen Wissen“ seines ansonsten genauso filmbesessenen Kumpels Jake Cunningham gab: “Er hatte kaum einen Studio Ghibli-Film gesehen.“ Da dies gar nicht ging, erstellte Michael einen „strengen und straffen Lehrplan für Mike“ und das Resultat ist dieses bemerkenswerte Buch.

Angefangen bei Hayao Miyazakis 1984er Blockbuster Nausicaä aus dem Tal der Winde setzte sich das Duo chronologisch und intensiv – aber niemals ausufernd! – mit den einzelnen Ghibli-Filmen auseinander. Dabei war es Michael, der die jeweiligen Hintergrundinfos lieferte, während Jake, der manche Filme zum ersten Mal sah, ebenso lebendige wie subjektive Kritiken zu Papier brachte.

Das Konzept geht voll auf und das Buch lädt auf 200 sehr schön bebilderten Farbseiten zu einer spannenden Zeitreise ein. Wer sich darauf einlässt, ist 1986 dabei, als Miyazaki mit Das Schloss im Himmel den ersten Ghibli-Film drehte. Zwei Jahre später später brachte das Studio mit Miyazakis Mein Nachbar Totoro und Isao Takahatas Die letzten Glühwürmchen am selben Tag zwei sehr unterschiedliche Filme in die Kinos.

Die beiden Studiogründer beschritten völlig unterschiedliche Wege. Nachdem Takahata mit Only Yesterday einen schwer zu Herzen gehenden Film in Szene setzte, machte er mit Pom Poko, Meine Nachbarn die Yamadas und Die Legende der Prinzessin Kaguya ohne Rücksicht auf Verluste sein eigenes Ding. Hayao Miyazaki hingegen reihte Klassiker an Klassiker: Kikis kleiner Lieferservice, Porco Rosso, Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland, Das wandelnde Schloss, Ponyo und Wie der Wind sich hebt.

Doch das ist noch lange nicht alles. Dieses Buch erzählt auch darüber, wie Miyazakis Sohn Goko 2006 mit Die Chroniken von Erdsee an der Kinokasse zwar erfolgreich war, doch auch sehr viel Spott erntete und Ursula K. Le Guin, die Autorin der dem Film zugrundeliegenden Fantasy-Romane, verärgerte, Besprochen werden auch Die rote Schildkröte vom Niederländer Michael Dudok und der am Computer animierte Film Aya und die Hexe, die sich beide nicht so recht in die restliche Ghibli-Filmografie einfügen wollen.

Die 2022 erschienene erste Auflage der Ghibliothek ist bereits vergriffen und mittlerweile liegt eine neue Ausgabe vor, die zusätzlich noch ein Nachwort emthält, sowie eine Besprechung zu Hayao Miyazakis möglicherweise tatsächlich letzten Ghibli-Film Der Junge und der Reiher.

In derselben Aufmachung ist das ebenfalls von Michael und Jake verfasste Buch Die Anime-Bibliothek erschienen. Dieser “ultimative Guide zum japanischen Animationsfilm“ enthält je einen ausgewählten Film von dreißig Regisseuren, also z. b. Akira von Katsuhiro Otomo, Ghost in the Shell von Mamoru Oshii oder Your Name von Makoto Shinkai.

Durch die Hintertür ist es dem Duo auch gelungen “Studio Ghibli“ in ihren ebenfalls sehr lesenswerten Anime-Guide zu schmuggeln, denn mit Lupin III: Das Schloss des Cagliostro ist darin auch der erste Kinofilm von Hayao Miyazaki enthalten.

Heiner Lünstedt

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