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Lika Nüssli: Starkes Ding

Auf Anhieb ist nicht jedes Wort und jedes Bild zu verstehen. Doch diese Fremdartigkeit bei Dialekt und Darstellung macht neugierig. Im Zentrum von Lika Nüsslis mit dicken schwarzen Strichen meist recht reduziert zu Papier gebrachten Bildern steht der kleine Ernst. Dieser lebt und arbeitet zusammen mit seinen sechs Geschwistern auf einem Bauernhof in den Bergen.

Trotz der vielen Tätigkeiten, die der Junge zu verrichten hat, fühlt er sich inmitten seiner Familie, des Viehs und der geliebten Hühner geborgen. Dies ändert sich abrupt, als die Eltern das Angebot erhalten, ihren zwölfjährigen Sohn für einen Franken am Tag an einen fremden Bauern zu verleihen. Als Verdingbub muss Ernst seine vertraute Umgebung verlassen und noch härter als zuvor arbeiten. Er bekommt nicht genug zu essen, wird unfreundlich behandelt und gezüchtigt…

Diese Geschichte scheint aus lange vergangenen mittelalterlichen Zeiten zu stammen. Doch sie spielte sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ab. Bis hinein in die 70er-Jahre war es in der als wohlhabend geltenden Schweiz nicht illegal und auch nicht unüblich, Kinder gegen Geld auf fremden Höfen Sklavenarbeit verrichten zu lassen.

Als Lika Nüssli wegen des Corona-Lockdowns sieben Wochen in einer Wohnung in Belgrad festsaß, nutze sie die Zeit, um mit ihrem Vater lange Telefonate zu führen. Erstmals erfuhr sie Details über die vier harten Jahre, die Ernst Nüssli als Verdingbub verbringen musste.

Der daraus resultierende Comic ist trotz zahlreicher schwer zu Herzen gehender oder auch wütend machender Sequenzen dennoch kein durchgehend finsteres Werk. Nüssli erzählt auch davon, dass ihr Vater sein Schicksal als Herausforderung ansah und die schönen Momente um so mehr genossen hat.

Bemerkenswert ist auch die Veröffentlichungsform als großes broschiertes Paperback, das mich an die Malbücher aus Kindertagen denken lässt. Die Edition Moderne räumt Lika Nüsslis eigenwilligen Bildern viel Raum ein, lässt sie atmen und ihre faszinierende Wirkung voll entfalten.

Heiner Lünstedt

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Hamed Eshrat: Coming of H

Unter dem Motto “Vieles ist genau so passiert, einiges ganz anders“ erzählt der 1979 in Teheran geborene Hamed Eshrat (Nieder mit Hitler) eine Variante seiner in der westfälischen Provinz verbrachten Jugend.

Man könnte vermuten, dass es sich hierbei um eine Art Prequel zu Eshrats mit Nick Hornbys High Fidelity liebäugelnden Berlin-Comic Venustransit handelt. Doch Coming of H ist anders, lockerer in den entspannten Momenten und ernsthafter, wenn es mal tragisch zugeht.

Dadurch dass sich der Hamed im Comic, genau wie seine Mitschüler für Skaten, Graffitis, Kiffen und Mädchen interessiert und auf LPs oder Mixtapes dieselbe Musik hört, scheint bei ihm die Integration recht gut geklappt zu haben.

Doch das sehen die Eltern mancher Mitschülerinnen und die örtlichen Neonazis anders. Außerdem lebt Hamed immer noch bei seiner Familie und wird daher täglich damit konfrontiert, dass sein Vater körperlich zwar in Deutschland angekommen ist, sein Kopf sich aber immer noch im Iran befindet.

Eshrat bezeichnet seinen Comic als eine “Verdichtung mehrerer Lebensphasen“, was erklärt, warum darin nicht nur etliche lustige, zu Herzen gehende oder auch traurig machende Momente aneinandergereiht werden. In einem ebenso lockeren wie ausgereiften Zeichenstil wird scheinbar ganz nebenbei von einem jungen Menschen erzählt, der versucht seinen Platz im Leben zu finden und am Ende der Geschichte (Vorsicht Spoiler!) die Enge der Provinz hinter sich lässt.

Heiner Lünstedt  

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Nieder mit Hitler!

Jochen Voit fiel immer wieder ein älterer Mann auf, der die von ihm geleitete Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt aufsuchte. Bei dem Besucher des ehemaligen Stasi-Gefängnisses handelte es sich um Karl Metzner, und dieser hatte eine mehr als interessante Geschichte zu erzählen.

Nieder mit Hitler

Gemeinsam mit Jochen Bock und drei weiteren Mitschülern aus der Handelsschule gründete Metzner 1943 die Erfurter “Zelle des Nationalkomitees Freies Deutschland“. Die Jungs hörten ausländische Sender, was streng verboten war. Sie schrieben Anti-Hitler-Parolen an Hauswände und auf seiner Reiseschreibmaschine tippte Metzner Flugblätter, die er zusammen mit der Gruppe verteilte.

Nieder mit Hitler

Die Schüler wurden von der Gestapo gefasst und wegen „Rundfunkverbrechen“, sowie “Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu Haftstrafen verurteilt. Nach dem Krieg wurde Metzner Pfarrer. Die mit dieser Berufswahl angeblich verbundene „falsche Einstellung“ verhinderte, dass Metzner in der DDR dauerhaft als Widerstandskämpfer anerkannt wurde.

Nieder mit Hitler

Jochen Voit machte aus dem Leben von Metzner einen Comic, in dem er einen Stasi-Mitarbeiter sagen lässt: “Es ist wichtig, dass wir in der DDR sorgsam unterscheiden zwischen einem Lausbubenstreich und echtem Antifaschismus.“ Letzterer wurde nur kommunistischen Widerständlern zugestanden.

Nieder mit Hitler

Der von Voit geschriebene und von Hamed Eshrat (Venustransit, Coming of H) gezeichnete Comic macht sehr deutlich, dass es sich bei den Aktionen von Metzners Gruppe keineswegs um harmlose Streiche handelte. Es wird erzählt, wie aus jungen Menschen, die dem nationalsozialistischen Regime unterschiedlich nahe standen, Widerständler wurden. Der Comic wechselt zwischen zwei Zeitebenen und schildert in einer schwarzweißen Rahmenhandlung wie Metzner 1960 von der Stasi verhört wird und sich (in farbigen Rückblenden) an seine Jugendjahre erinnert.

Nieder mit Hitler

Die Geschichte gehorcht keiner konventionellen Dramaturgie, vermeidet Klischees in der Handlungsführung und orientiert sich sehr nah an tatsächlichen Ereignissen. Dem Autoren und dem Zeichner gelang es Karl Metzner “das Medium Comic schmackhaft zu machen“. Der alte Mann beantwortete geduldig Fragen und ihm gefiel was Voit und Eshrat daraus machten. Metzner ist am 23. August 2018 im Alter von 90 Jahren verstorben. Durch diesen sehr lesenswerten Comic lebt er weiter.

Heiner Lünstedt

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The Katzenjammer Kids – Der älteste Comic der Welt

In dichter Folge veröffentlichte Alexander Braun in den letzten beiden Jahren mit ANIME fantastisch, Will Eisner – Graphic Novel Godfather und Horror im Comic gleich drei ebenso großartig bebilderte wie sorgfältig recherchierte Bücher. Diese waren zugleich auch die Kataloge zu von ihm kuratierten Ausstellungen, die im Dortmunder schauraum comic + cartoon und weiteren Locations gezeigt wurden.

Kaum waren die 450 Seiten von Horror im Comic durchgelesen, da folgte auch schon Brauns neustes Epos. Im Zentrum dieses Buchs steht Rudolph Dirks, der mit seinen Eltern und Geschwistern aus Norddeutschland in die USA auswanderte und dort mit The Katzenjammer Kids ab 1897 den laut Braun “ältesten Comic der Welt“ zeichnete.

Braun hat sein Buch diesmal nicht alleine verfasst, sondern gemeinsam mit dem Comiczeichner Tim Eckhorst (Pure Fruit), der aus derselben Gegend in Schleswig-Holstein wie Familie Dirks stammt. Eckhorst, der sich in seinen Comics immer wieder mit den Dirks‘ beschäftigt und gemeinsam mit der Regisseurin Martina Fluck 2019 den Dokumentarfilm Katzenjammer Kauderwelsch gedreht.

In ihrem Buch machen Braun und Eckhorst keinen Hehl daraus, dass sie die zweifelsohne von Wilhelm Buschs Max und Moritz inspirierten auf farbigen Sonntagsseite dargebotenen Lausbubenstreiche von Hans und Fritz nicht zu den beeindrucktesten Beiträgen zur Comicgeschichte zählen. Basierend auf intensiven Faktenstudium kommen sie zur Schlussfolgerung, dass es dem auch als Maler tätigen Rudolph Dirks an Ehrgeiz mangelte und dieser sich sehr schnell mit dem bereits erreichten Standard zufrieden gab.

Sehr viel ambitioniertere Comickünstler waren etwa Rudolphs jüngerer Bruder Gus, der mit Latest News from Bugville beeindruckte und 1902 Selbstmord beging, oder auch Harold Kerr, der ab 1914 die Katzenjammer Kids zeichnete, während Dirks die selbe Serie in einer anderen Zeitung unter dem Titel The Captain and the Kids weiterführte. Rudolph Dirks fungiert bei diesem Buch als roter Faden, der es erlaubt auch andere Zeichner wie James Swinnerton, Frederick Burr Opper oder Gus Mager und ihre Comics vorzustellen.

Wie üblich in den Büchern von Braun ist auch diesmal sehr viel über die Historie zu erfahren, so ist die Leserin oder der Leser anhand der großartigen Bebilderung mit Fotos, Landkarten und Webeanzeigen von Reedereien fast schon direkt dabei, wenn die Familie Dirks zusammen mit anderen Auswanderern den Atlantik überquert. Doch diesmal geht Braun (oder Eckhorst) noch einen Schritt weiter und verlässt den halbwegs sicheren Boden des sorgfältig recherchierten Sachbuchs.

Ein Kapitel über Gus Dirks tendiert besonders stark in Richtung Roman. So lautet hier der erste Satz: “Vor zwei Tagen habe ich mir ein Loch in den Kopf geschossen.“ Genau in diesen Kopf hinein, haben sich Braun und Eckhorst begeben. Mit einem frei erfundenen Text aus dem Jenseits laden sie dazu ein, auch beim Ehebruch dabei zu sein, den Gus mit Rose, der Ehefrau seines Bruder Rudolf, begangen hatte: “Die rote Sonne klebte am Himmel wie eine Oblate. Wir liebten uns an diesem Abend noch zwei weitere Male.“

Dieses etwas seltsame Stilmittel (der Tagespiegel schreibt recht passend von „semifiktionalen Passagen“) wird jedoch nicht überstrapaziert und hat mich inmitten der anregenden Lektüre eher erstaunt als gestört. Insgesamt sind diese spekulativen Passagen sogar so gut und mitreißend geschrieben, dass ich einen Roman von Braun (oder Eckhorst) garantiert lesen würde.

Heiner Lünstedt

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ANIME fantastisch

2020 war ist im schauraum: comic + cartoon eine Ausstellung über die Kunst des japanischen Zeichentrickfilms zu sehen. Wer es nicht nach Dortmund schaffte, wird mit einem im riva Verlag erschienenen Katalog bestens bedient.

Anime fantastisch

Der wuchtige querformatige Hardcoverband enthält nicht nur hervorragende Reproduktionen der zahlreichen in der Ausstellung gezeigten Animationsfolien und Entwurfszeichnungen, sondern auch hochinteressante Texte des Kurators Alexander Braun. Braun veröffentlichte beim Taschen Verlag opulente Bücher zu Winsor McCays Little Nemo und George Herrimans Krazy Cat, außerdem kuratierte er zahlreiche Ausstellungen, wie etwa gemeinsam mit Andreas C. Knigge Comics, Mangas, Graphic Novels in der Bundeskunsthalle Bonn.

Anime fantastisch

Das Buch dürfte mit seinen Abbildungen und Texten zu immer noch aktuellen Animes und Mangas wie Dragon Ball oder Sailor Moon jüngere Leser ansprechen. Braun ist es aber auch ein Anliegen zu vermitteln, dass im deutschen Fernsehen Animes bereits seit 1972 gezeigt wurden.

Anime fantastisch

Es begann mit dem schwarzen Küken Calimero, das eine Eierschale auf dem Kopf trägt und bereits in den 60er-Jahren in Italien als Werbefigur für ein Waschmittel erfunden wurde. Anfang der 70er-Jahre wurde aus Calimero eine in Palermo spielende in Japan produzierte Animationsserie, die bei uns im ZDF gezeigt wurde. Es folgte als erste deutsch-japanische Co-Produktionen Wickie und die starken Männer und Die Biene Maja. Der vielleicht beste auf einer europäischen Vorlage basierende Anime-Serie war Heidi, an deren aufwändiger Produktion auch Isao Takahata und Hayao Miyazaki, beteiligt waren, die später das Studio Ghibli gründen sollten.

Anime fantastisch

Alexander Braun informiert auch ausführlich über die Technik des Zeichentrickfilms. Er gibt Einblick in die japanische Kultur und Gesellschaft. Ihm gelang ein ebenso faszinierend geschriebenes wie bebildertes Buch, das seinem Thema mehr als gerecht wird.

Heiner Lünstedt

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Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Erst 1977 kamen die Comics von Will Eisner nach Deutschland. Ein großformatiges Album des Nelson Verlags enthielt eine recht ansprechend zusammengestellte Auswahl von Geschichten mit dem maskierten Privatdetektiv Denny Colt alias The Spirit, weitere Ausgaben blieben mangels Erfolgs jedoch aus.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Zeitnah zur US-Veröffentlichung und schön aufgemacht als Hardcover-Band brachte Zweitausendundeins 1980 Eisners erste Graphic Novel Ein Vertrag mit Gott heraus. Ein Jahr später startete Carlsen eine gebundene Edition mit ausgewählten Spirit-Geschichten und ab 2001 erschienen beim Salleck Verlag 24 Bände der Reihe The Spirit Archive.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Auch sehr viele von Eisners Graphic Novels haben deutsche Verleger gefunden und 2005 widmete die Reihe F. A. Z. – Klassiker der Comic-Literatur Will Eisner sogar einen ihrer 20 Bände.

F. A. Z. - Klassiker der Comic-Literatur

Die meisten deutschen Editionen enthalten fundierte Vor- und Nachworte.Hinzu kommen zahlreiche Artikel in der Comic-Fachpresse, inklusive einer Eisner-Ausgabe des Fachmagazins Reddition.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Es scheint so, als wenn mittlerweile auch hierzulande fast alles von und über den 2005 verstorbenen Comic-Großmeister veröffentlicht wurde.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Dass dem keineswegs so ist, belegt ein reich bebilderter Band, in dem sich Alexander Braun genauso ausführlich, fundiert und mitreißend mit Will Eisner beschäftigt, wie zuvor in seinen Werken über Winsor McCays Little Nemo und George Herrimans Krazy Cat. Das großformatige gebundene Buch Will Eisner – Graphic Novel Godfather ist zudem noch der Katalog zu einer Ausstellung, die u. a. anlässlich des Comic-Salons 2022 im Kunstmuseum Erlangen zu sehen war.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Daher sind zahlreiche bestens reproduzierte und ausführlich kommentierte Originale von Eisners Comicseiten enthalten. Diese sind Teil eines spannenden Exkurses durch Leben und Werk des Comickünstlers. Braun vermittelt Einblicke in die auch heute noch erstaunlich innovativen Erzähltechniken und zeigt auf, wo Elemente aus Eisners Biografie in die Geschichten eingeflossen sind.

In chronologischer Reihenfolge beschäftigt sich das Buch mit den verschiedenen Schaffensphasen. Braun schildert wie The Spirit entstanden ist, wie Eisner die Arbeit an der Serie 1942 unterbrach, weil er eingezogen wurde. Doch auch als Soldat arbeitete er weiter daran, die Möglichkeiten des Medium Comics zu erforschen. Das Resultat waren gezeichnete Ratgeber, in denen Eisner mit Humor – aber auch sehr eindringlich – dazu aufforderte, sorgfältig mit der militärischen Ausrüstung umzugehen, denn Nachlässigkeit kann tödlich sein.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Eisner kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Spirit zurück, aber auch wieder zu den militärischen Ratgebern. Beflügelt von den Underground-Comix folgten freizügigere Spirit-Geschichten und schließlich die Graphic Novels. In den letzten Kapiteln seines Buchs widmet sich Alexander Braun unter dem Motto “Tenement-Fieber: Leben im Mietshaus“ mit einem Leitmotiv im Werk von Eisner (siehe New York – Großstadtgeschichten) oder und mit den “jüdischen Aspekten“, denn in den Spätwerken Fagin the Jew und Das Komplott: Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion wurde Antisemitismus besonders stark thematisiert.

Will Eisner: Ich bin Fagin

Großartig ist auch das letzte Kapitel. Braun präsentiert hier aussagekräftige Auszüge aus seinen Gesprächen mit Denis Kitchen, dem “Verleger und Freund“ von Will Eisner. Sehr lebendig kommt hier der Mensch hinter den Comics zum Vorschein.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Braun gelang ein großartiges Buch, dessen Lektüre ich immer wieder unterbrechen musste, um zum Bücherregal zu eilen, um die von Braun hervorgehobenem Spirit-Geschichten oder besonders gelungene Passagen aus den Graphic Novels zu lesen. Im Rahmen des Comicfestival München 2021 hat Alexander Braun die PENG!-Preise in den Rubriken BESTE EDITION EINES KLASSIKERS und BESTE SEKUNDÄRLITERATUR erhalten.

Heiner Lünstedt

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Valhardi

Dieser (ge)wichtige Band enthält als deutsche Premiere ein entscheidendes Kapitel der frankobelgischen Comicgeschichte. Bei uns erschienen einige Comics mit dem furchtlosen blonden Versicherungsdetektiv Jean Valhardi, dessen Markenzeichen seine Kinnhaken sind. Bei Kauka trat er als Kouki auf Carlsen veröffentlichte ab 1985 die fünfzehnbändige Reihe Valhardi & Co, Abenteurer.

Doch erst jetzt, nach über 80 Jahren, erscheinen endlich jene Comicseiten, die maßgeblich dazu beitrugen, dass sich in Belgien eine lebendige und vielfältige Comicszene entwickelte, jenseits von US-Importen, aber auch als lässige Alternative zu Hergés Tim und Struppi.

Jean Valhardi détective startete am 2. Oktober im Comicmagazin Spirou mit wöchentlich einer Comicseite und war fast vom Start weg beliebter als die Titelfigur im Pagenkostüm. Dies lag sowohl an der spannenden Story des Spirou-Herausgebers Jean Doisyder voller Cliffhanger, die an frühe Hitchcock-Filme wie Die 39 Stufen erinnert, als auch an den Zeichnungen von Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring).

Jijés Bildern ist durchaus die Eile anzumerken, mit denen diese zu Papier gebracht wurden. Doch wie die hier abgebildeten ersten fünf Seiten von Valhardi belegen, zwingt die rasante in Szene gesetzte Geschichte dem Betrachter auch heute noch ein Lesetempo auf, das nicht zum Verweilen auf Einzelpanels einlädt, sondern wie ein actionreicher Manga zum Umblättern zwingt.

Die Schnelligkeit mit der Jijés arbeitete, hatte aber auch noch einen anderen Grund, der im hochinteressanten Vorwort dieses Buchs zu erfahren ist. Das erste Valhardi-Abenteuer erschien im besetzten Belgien und die Deutschen wollten das schwer zu kontrollierende Spirou-Magazin einstellen. Nicht ohne Grund wurden Kontakte zur Résistance vermutet.

Doch ein stärker mit den Comics als mit den Nazis liebäugelnder deutscher Offizier verschaffte Spirou noch etwas Schonzeit. Er erlaubte, dass noch so lange gedruckt werden durfte, wie bereits fertig produziertes Material vorlag. Daher arbeitete Jijé klammheimlich gleich an mehreren Serien, wie etwa auch an Spirou. Er sorgte dafür, dass der Nachschub nicht ausblieb und das erste Valhardi-Abenteuer erst nach 100 Seiten am 2. September 1943 ein glückliches Ende fand. Dies traf leider nicht auf das Spirou-Magazin zu, das am selben Tag eingestellt wurde.

Doch Mord am Seeufer, ein weiterer Valhardi-Comic, konnte während der Besatzungszeit noch in Spirou-Anthologien veröffentlicht werden, bevor es mit der Serie nach dem Krieg weiterging. Teilweise übernahmen jetzt andere Autoren wie Jean-Michel Charlier (Blueberry) oder neue Zeichnern wie Eddy Paape (Luc Orient). Der Stefan Riedl Verlag veröffentlicht in einer sechsbändigen Gesamtausgabe alle bis 1984 erschienenen Valhardi-Abenteuer und somit auch die gloriose Rückkehr von Jijés zu seinem Comicklassiker.

Heiner Lünstedt

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Jan Bazuin – Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Erst nach dem Tode des Niederländers Jan Bazuin entdeckte sein Sohn Leon ein aus drei Heften bestehendes Tagebuch. Sein Vater hatte mit ihm nie über jene Zeit gesprochen, als er Ende des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach München deportiert wurde. Das dortige NS Dokumentationszentrum fertigte nicht nur eine deutsche Übersetzung an, sondern erarbeitete auch eine Veröffentlichung des Tagebuchs, die von der Comiczeichnerin Barbara Yelin (Gift, Irmina) illustriert wurde.

Der 19-jährige Jan Bazuin begann sein Tagebuch am 20. November 1944 mit dem Satz: “Heute kaum etwas Besonders“ Er beschreibt sein Leben im besetzten Rotterdam. Die Bewohner leiden unter Bombenangriffen, sowie der Knappheit von Nahrungsmittel und Heizmaterial. Bazuin kommt zudem kaum noch mit seinem Vater klar. Ein Lichtblick ist das Verhältnis zu einer Frau, die er zunächst als “Bekannte“ bezeichnet und die schließlich zu Bazuins Freundin Annie wird.

Seine Tagebucheinträge sind sehr sachlich gehalten und scheinbar frei von Sentimentalitäten. Gelegentlich blitzt ein sarkastischer Humor aber auch Optimismus auf. Bazuins Schreibstil erweckt rasch Sympathien für den jungen Mann, der versucht das Beste aus seiner Lage zu machen. Doch diese wird keineswegs besser. Auch weil sein Vater ihn nicht mehr in der Wohnung haben will, wird Bazuin im Januar 1945 zusammen mit 50 Landsleuten in einen Güterwagen gesperrt.

Nach einer 75-stündigen Bahnfahrt, die er fast ohne Nahrungsmittel und Wasser ertragen muss, kommt er schließlich in Dachau an. Er musste Zwangsarbeit im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing verrichten (das sich direkt vor meiner Haustür befand). Jan Bazuins letzter Tagebucheintrag stammt vom 27. April 1945, und danach versuchte er die Deportation zu vergessen, auch weil manche Niederländern Zwangsarbeiter verdächtigten, freiwillig für die Deutschen gearbeitet zu haben.

Jan Bazuins Tagebuch ist ein wichtiges Zeitdokument, dass die Auswirkungen von Krieg und Diktatur auf Zivilisten hautnah miterleben lässt. Für diese Edition, die keinen Leser kalt lassen wird, sprechen auch die einfühlsamen Bilder von Barbara Yelin, die das Tagebuch nicht nur illustrierte, sondern teilweise auch durch Sprechblasentexte ergänzte.

Heiner Lünstedt

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Walter Neugebauer: Winnetou II – III

In diesem Band findet die ab 1963 in Rolf Kaukas Fix und Foxi veröffentlichte Comic-Version von Karl Mays Winnetou–Trilogie, die Walter Neugebauer (Tom & Biber) zeichnete, ihren Abschluss. Leider war es diesmal nicht möglich, für den Buchrücken jenen grünen Leinenstoff mit Goldprägung zu verwenden, der bei der Veröffentlichung der Karl Mays Romane zum Einsatz kam. Die Firma, die das “Karl-May-Leinen“ produzierte, war Pleite gegangen und ein Ersatzstoff musste her.

Doch wer dies nicht weißt, wird keinen Unterschied feststellen, zumal inhaltlich wieder dieselbe Qualität geboten wird. Neben Walter Neugebauers 180 Seiten aus Fix und Foxi, die sorgfältig digital auf Vordermann gebracht wurden, sind es wieder die interessanten Hintergrundinformationen von Gerhard Förster (Die Sprechblase), die diesen Band zu einer spannenden Lektüre für alle Freunde von klassischen Comics machen.

Im Schatten der Debatte um den angeblich rassistischen Kinderfilm Der junge Häuptling Winnetou stellt Förster den manchmal ganz schön deutschnational fabulierenden Karl May als Kind seiner Zeit dar. Er diagnostiziert, dass der Autor “im Vergleich zu seinen Zeitgenossen sogar sehr aufgeschlossen“ war, vergisst aber nicht zu erwähnen, dass Karl May in seinen Romanen “mit den Schwarzen weniger respektvoll“ als mit den Indianern umging.

Genau wie der erste Band enthält auch dieses Buch eine weitere Winnetou-Version von Walter Neugebauer. Als Siebzehnjähriger brachte dieser In seiner Heimat Jugoslawien bereits 1938 eine Adaption von Winnetou II zu Papier, die dort im Comicmagazin Veseli vandrokaš zum Abdruck kam. Leider konnte Neugebauer die Geschichte nicht zu Ende erzählen, da die Zeitschrift eingestellt wurde.

Um an diese Comicseiten zu gelangen, reiste Gerhard Förster nach Zagreb. In diesem Buch kann er zudem auch noch einige Seiten präsentieren, mit denen Neugebauer 1963 versuchte, seine 38er-Version zu Ende zu bringen, bevor ihn Rolf Kauka dies untersagte, da er weiter am Fix-und-Foxi-Winnetou arbeiten musste. Recht bald möchte Förster in Band 3 Neugebauers Version von Karl Mays Old Surehand I veröffentlichen. Ich freue mich darauf!

Heiner Lünstedt

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Rolf Kauka: Tom und Klein-Biberherz

Ingraban Ewald veröffentlichte bereits eine sehr schöne Edition eines auf Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel basierenden Abenteuer von Rolf Kaukas jungen Raumfahrers Mischa. Danach widmete sich Ewald einer weiteren beliebten Serie aus Fix und Foxi.

Der in Jugoslawien geborene Zeichner Walter Neugebauer war schon immer ein großer Western-Fan und veröffentlichte bereits 1937 in seiner Heimat eine Comic-Adaption von Winnetou. Diese Fassung und Neugebauers ab 1963 für Rolf Kauka gezeichneten Karl-May-Comics erscheinen bei bsv als schön aufgemachte dreibändige Edition, die auch durch die interessanten redaktionellen Beiträge von Gerhard Förster (Die Sprechblase) überzeugt.

Doch auch Ingraban Ewald hat sich bei seinem zweiten Kauka-Band sehr viel Mühe gegeben. Enthalten sind Geschichten mit dem von Walter Neugebauer geschaffenen Duo Tom und Klein-Biberherz, das ab 1957 regelmäßig in Fix und Foxi seine Abenteuer erlebte. Neugebauer brachte die Figuren, in einem schönen Funny-Stil zu Papier. Ihm wurde sogar die Ehre zuteil beim ersten Auftritt von Tom und Klein-Biberherz namentlich gleichberechtigt unter Rolf Kauka genannt zu werden.

Ingraban Ewalds Band enthält eine von Hilmar Kalaba kolorierte Geschichte mit Tom & Biber, die ab 1964 in vier Fix-und-Foxi-Heften in Schwarzweiß auf blauem Papier zum Abdruck kam. Die entsprechenden Seiten konnten herausgetrennt werden und zu einem “Lies- und Lachbuch“ zusammengebastelt werden.

Die Story der Geschichte stammt von Neugebauers Bruder Norbert, der sich hierbei an zwei seiner frühen Comics mit Tom & Biber von 1958 orientierte. Diese kommen ebenfalls in diesem Band zum Abdruck, allerdings in der Originalversion aus Fix und Foxi. Hilmar Kalaba meint dazu: “Im Original waren viele dieser Seiten nicht farbig! Die FF-Hefte waren damals (aus Kostengründe) noch alternierend bunt und einfarbig. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass z. B. in Dänemark diese Seiten in Farbe gedruckt worden waren. Wir hatten uns aber entschlossen, die Originalität der deutschen Hefte beizubehalten. Das war keinesfalls Bequemlichkeit, denn diese Graustufenseiten waren wesentlich aufwändiger in der Scanbearbeitung, als die bunten – schließlich wollte ich den leicht grüngrauen Schimmer möglichst „faksimile“ widergeben. Hat doch auch seinen Reiz, oder?“

Dies kann nur bejaht werden und es darf sich auf weitere ähnlich schöne Editionen mit Kauka-Comics gefreut werden.

Heiner Lünstedt

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