Jochen Voit fiel immer wieder ein älterer Mann auf, der die von ihm geleitete Gedenkstätte Andreasstraße in Erfurt aufsuchte. Bei dem Besucher des ehemaligen Stasi-Gefängnisses handelte es sich um Karl Metzner, und dieser hatte eine mehr als interessante Geschichte zu erzählen.
Gemeinsam mit Jochen Bock und drei weiteren Mitschülern aus der Handelsschule gründete Metzner 1943 die Erfurter “Zelle des Nationalkomitees Freies Deutschland“. Die Jungs hörten ausländische Sender, was streng verboten war. Sie schrieben Anti-Hitler-Parolen an Hauswände und auf seiner Reiseschreibmaschine tippte Metzner Flugblätter, die er zusammen mit der Gruppe verteilte.
Die Schüler wurden von der Gestapo gefasst und wegen „Rundfunkverbrechen“, sowie “Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu Haftstrafen verurteilt. Nach dem Krieg wurde Metzner Pfarrer. Die mit dieser Berufswahl angeblich verbundene „falsche Einstellung“ verhinderte, dass Metzner in der DDR dauerhaft als Widerstandskämpfer anerkannt wurde.
Jochen Voit machte aus dem Leben von Metzner einen Comic, in dem er einen Stasi-Mitarbeiter sagen lässt: “Es ist wichtig, dass wir in der DDR sorgsam unterscheiden zwischen einem Lausbubenstreich und echtem Antifaschismus.“ Letzterer wurde nur kommunistischen Widerständlern zugestanden.
Der von Voit geschriebene und von Hamed Eshrat (Venustransit, Coming of H) gezeichnete Comic macht sehr deutlich, dass es sich bei den Aktionen von Metzners Gruppe keineswegs um harmlose Streiche handelte. Es wird erzählt, wie aus jungen Menschen, die dem nationalsozialistischen Regime unterschiedlich nahe standen, Widerständler wurden. Der Comic wechselt zwischen zwei Zeitebenen und schildert in einer schwarzweißen Rahmenhandlung wie Metzner 1960 von der Stasi verhört wird und sich (in farbigen Rückblenden) an seine Jugendjahre erinnert.
Die Geschichte gehorcht keiner konventionellen Dramaturgie, vermeidet Klischees in der Handlungsführung und orientiert sich sehr nah an tatsächlichen Ereignissen. Dem Autoren und dem Zeichner gelang es Karl Metzner “das Medium Comic schmackhaft zu machen“. Der alte Mann beantwortete geduldig Fragen und ihm gefiel was Voit und Eshrat daraus machten. Metzner ist am 23. August 2018 im Alter von 90 Jahren verstorben. Durch diesen sehr lesenswerten Comic lebt er weiter.
Heiner Lünstedt
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