Modesty Blaise – Band 3

„Man nannte sie öfter einen weiblichen James Bond, aber das ist das Letzte, was sie ist. Bond ist einer der großartigen Roman-Charaktere des zwanzigsten Jahrhunderts, aber er existiert nur, während er auf Mission ist – er hat kein Heim, keine Freunde, keine Interessen.

Modesty Blaise hat das alles: Sie hat einen kleinen Kreis sehr naher Freunde, sie ist an vielen Dingen interessiert und sie hat ein Privatleben, das immer gegenwärtig ist und mit den Ereignissen, nicht Missionen, in die sie auf die eine oder andere Art verwickelt wird. Für den Britischen Geheimdienst hat sie in fünfundneunzig Comic-Storys und einundzwanzig Romanen nur zweimal gearbeitet.“
Dies sagte der Autor Peter O’Donnell in einem Interview über seine 1963 geschaffene Comicstrip-Heldin. Die drei in diesem Sammelband enthaltenen Comicgeschichten belegen die Aussage sehr gut. Im ersten Abenteuer Top Traitor machen sich Modesty Blaise und Willie Garvin zwar auf die Suche nach dem verschwundenen Geheimdienstchef Sir Gerald Tarrant, doch der Grund dafür ist kein Auftrag. Die einzige Motivation für ihren Einsatz ist ihre Freundschaft zu Tarrant.
Der Einstieg in die aus 118 Zeitungsstrips bestehende Story The Vinkings ist sehr interessant mit der kriminellen Vergangenheit der beiden Hauptfiguren verknüpft. Ein junger Mann namens Olaf, der einst äußerst schlampig für Modesty Blaise arbeitete, ist mittlerweile in der Bande des egozentrischen Magnus, der sich für den “letzten Wikinger“ hält. Modesty lehnt das Angebot von Olafs wohlhabenden Vater ab, Olaf aus den Fängen von Magnus zu befreien. Doch als sie von dessen Ehefrau um Hilfe gebeten wird, tritt Modesty zusammen mit Wilie gegen Magnus und seine Wikinger an.
Auch in der Geschichte The Head Girls ist es kein Auftrag des britischen Geheimdienstes, der Modesty auf eine gefährliche Mission sendet. Zufällig trifft sie bei einem gemeinsamen Urlaub mit Willie auf Industriespione und eine Organisation, die angehende Sekretärinnen dazu ausbildet die Geheimnisse ihrer zukünftigen Chefs an sie zu verraten. Die Story gipfelt schließlich in einer Konfrontation mit Modestys Erzfeind Gabriel.
Doch es sind nicht nur die raffiniert und mitreißend erzählten Geschichten, die diesen schwarzweißen Zeitungsstrip auch nach 60 Jahren immer noch lesenswert machen, sondern ebenso die großartigen Bilder von Jim Holdaway, der unvergleichlich elegant mit Pinselstrichen und Schwarzflächen arbeitet. Genau wie bei der Veröffentlichung des Klassikers Prinz-Eisenherz hat sich Achim Dressler vom Bocola Verlag auch hier großen Aufwand betrieben, um die einzelnen Strips in bestmöglicher Qualität präsentieren zu können. Aus dem Archiv des englischen Lizenzgeber erhielt er hierzu sehr viel bessere Druckvorlagen als die vorherigen Verleger.
Es ist zu hoffen, dass in dieser weltweit einzigartigen Gesamtausgabe alle von Peter O’Donnell geschriebenen Comics mit Modesty Blaise erscheinen werden.

Heiner Lünstedt

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Modesty Blaise

Der Brite Peter O’Donnell wurde zwei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs eingezogen und blieb bis 1946 Soldat. Er war stationiert in Italien, in Ägypten, auf Zypern und dem damaligen Persien. Dort traf er mit einigen Kameraden ein barfüßiges Flüchtlingsmädchen, das “sehr selbstsicher wirkte, anscheinend gewohnt war, allein unterwegs zu sein“, dabei “vorsichtig aber nicht ängstlich war, ohne Hilfe von jemanden zu erwarten.“

O’Donnell überließ dem Mädchen einige Konserven und einen Dosenöffner, bevor sie weiterzog. Der nach dem Krieg als Autor tätige O’Donnell musste an das Flüchtlingskind denken, als er 1962 den Auftrag erhielt, einen Comicstrip für den Daily Express zu schreiben. Mit seinen Texten bediente er damals zwei verschiedene Genres: “Einerseits starke Machohelden, andererseits romantisches Liebesgeläut, wobei ich meine `Frauensachen´ immer mit etwas Abenteuer würzte“.

Der Autor hatte immer wieder darüber nachgedacht, beide Thematiken zu vereinen, also zu erzählen, von einer “Frau voller Weiblichkeit, aber im Kampf so gut wie jeder Mann, wenn nicht besser.“ Der Auftrag für den Daily Express spornte ihn an, sich des Themas anzunehmen. Er erinnert an seine Begegnung mit dem Flüchtlingsmädchen und wurde dadurch zu Modesty Blaise inspiriert, einer Frau, die durch ihre tragische Vergangenheit selbstbewusst geworden war und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Cover von Matthias Schultheiss zur Carlsen-Ausgabe von Modesty Blaise

Modestys Leben in der Wildnis und auf der Straße führte sie in die Kriminalität. Als junge Frau leitete sie eine Organisation namens The Network, die alle Schandtaten außer Prostitution und Drogenhandel im Angebot hatte. Als frischgebackene Millionärin gelang ihr der Absprung und sie ließ sich in England nieder. Sir Gerald Tarrant vom britische Geheimdienst fragte höflich nach, ob sie gelegentlich Spezialaufträge übernehmen würde. Da sie sich langweilte, ließ sie sich gerne zu gefährlichen Missionen überreden.

Während Peter O’Donnell sehr lange über den Charakter seiner Hauptfigur nachgedacht hatte, war ihm – nachdem er wusste wie Modesty tickte – sofort klar, wie ihr Kumpel Willie Garvin beschaffen sein musst. Äußerlich ist er ein blonder Sonnyboy, der nahezu alles kann. Doch auch er hat eine tragische Vergangenheit und es war Modesty, die ihn aus einem Gefängnis holte und seinen guten Kern freilegte. Eine der Reize des Comics besteht darin, dass Modesty und Willie zwar ganz enge Freunde sind, aber nicht miteinander schlafen. Über die Bettgeschichten des jeweils anderen sind sie jedoch bestens informiert und reden ganz ohne eifersüchtige Gefühle sehr gerne darüber.

Eine Bleistiftstudie von Frank Hampson wurde als “nicht sexy genug“ abgelehnt.

Als O’Donnell das Konzept seiner Serie fertiggestellt hatte, waren große Teile der britischen Presselandschaft noch nicht auf eine derart starke unabhängige Frau vorbereitet. Der Daily Express lehnte ab und Modesty Blaise debütierte am 13. Mai im Londoner Evening Standard. Die Serie wurde bis 2001 ohne Unterbrechung fortgesetzt und in 42 Ländern veröffentlicht. Als Zeichner war ursprünglich Frank Hampson, der Schöpfer des britischen Science-Fiction-Comics Dan Dare, vorgesehen. Doch zum Glück war es dann der großartig mit Schwarzflächen und Pinselstrichen jonglierende Jim Holdaway der das Erscheinungsbild der Hauptfiguren maßgeblich prägte.

Ich denke es kann nicht schaden, wenn ich anmerke, dass ich schon seit ewigen Zeiten ein Fan von Modesty Blaise und Willie Garvin bin. eit ich 2006 den ersten Prinz-Eisenherz-Band des Bocola Verlags in Händen hielt, hoffte ich, dass das Team von Achim Dressler in derselben großartigen Qualität eine Gesamtausgabe meines Liebling-Comicstrips herausbringen würde. Jetzt ist genau dies gesehen und meine hohen Erwartungen wurden mehr als übertroffen.

Die Vorlagen der bei Bocola zum Abdruck gekommenen Zeitungsstrips stammen aus sechs verschiedenen Quellen. Ebenfalls enthalten sind die nur im auch am Karfreitagen und am Weihnachtstag erscheinenden Glasgow Citizen abgedruckten Strips. Ich wusste bereits viel über die Comicserie, doch einen Großteil der in diese Rezension eingearbeiteten Hintergrundinfos verdanke ich den fundiert zusammengestellten Vorworten, die in den ersten beiden Bänden dieser lange erwarteten Gesamtausgabe enthalten sind.

Abschließend muss unbedingt noch erwähnt werden, dass es den ersten Band von Bocolas im  Hardcover-Querformat von 30,5 x 28,0 cm veröffentlichten neu übersetzten und neu geletterten Gesamtausgabe der kompletten Comicstrips beim Verlag auch als auf 100 Exemplare limitierte Vorzugsausgabe mit Variantcover und signiertem Druck von Franz Gerg (Max & Luzie) gibt!

Heiner Lünstedt

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