Dieser (ge)wichtige Band enthält als deutsche Premiere ein entscheidendes Kapitel der frankobelgischen Comicgeschichte. Bei uns erschienen einige Comics mit dem furchtlosen blonden Versicherungsdetektiv Jean Valhardi, dessen Markenzeichen seine Kinnhaken sind. Bei Kauka trat er als Kouki auf Carlsen veröffentlichte ab 1985 die fünfzehnbändige Reihe Valhardi & Co, Abenteurer.
Doch erst jetzt, nach über 80 Jahren, erscheinen endlich jene Comicseiten, die maßgeblich dazu beitrugen, dass sich in Belgien eine lebendige und vielfältige Comicszene entwickelte, jenseits von US-Importen, aber auch als lässige Alternative zu Hergés Tim und Struppi.
Jean Valhardi détective startete am 2. Oktober im Comicmagazin Spirou mit wöchentlich einer Comicseite und war fast vom Start weg beliebter als die Titelfigur im Pagenkostüm. Dies lag sowohl an der spannenden Story des Spirou-Herausgebers Jean Doisyder voller Cliffhanger, die an frühe Hitchcock-Filme wie Die 39 Stufen erinnert, als auch an den Zeichnungen von Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring).
Jijés Bildern ist durchaus die Eile anzumerken, mit denen diese zu Papier gebracht wurden. Doch wie die hier abgebildeten ersten fünf Seiten von Valhardi belegen, zwingt die rasante in Szene gesetzte Geschichte dem Betrachter auch heute noch ein Lesetempo auf, das nicht zum Verweilen auf Einzelpanels einlädt, sondern wie ein actionreicher Manga zum Umblättern zwingt.
Die Schnelligkeit mit der Jijés arbeitete, hatte aber auch noch einen anderen Grund, der im hochinteressanten Vorwort dieses Buchs zu erfahren ist. Das erste Valhardi-Abenteuer erschien im besetzten Belgien und die Deutschen wollten das schwer zu kontrollierende Spirou-Magazin einstellen. Nicht ohne Grund wurden Kontakte zur Résistance vermutet.
Doch ein stärker mit den Comics als mit den Nazis liebäugelnder deutscher Offizier verschaffte Spirou noch etwas Schonzeit. Er erlaubte, dass noch so lange gedruckt werden durfte, wie bereits fertig produziertes Material vorlag. Daher arbeitete Jijé klammheimlich gleich an mehreren Serien, wie etwa auch an Spirou. Er sorgte dafür, dass der Nachschub nicht ausblieb und das erste Valhardi-Abenteuer erst nach 100 Seiten am 2. September 1943 ein glückliches Ende fand. Dies traf leider nicht auf das Spirou-Magazin zu, das am selben Tag eingestellt wurde.
Doch Mord am Seeufer, ein weiterer Valhardi-Comic, konnte während der Besatzungszeit noch in Spirou-Anthologien veröffentlicht werden, bevor es mit der Serie nach dem Krieg weiterging. Teilweise übernahmen jetzt andere Autoren wie Jean-Michel Charlier (Blueberry) oder neue Zeichnern wie Eddy Paape (Luc Orient). Der Stefan Riedl Verlag veröffentlicht in einer sechsbändigen Gesamtausgabe alle bis 1984 erschienenen Valhardi-Abenteuer und somit auch die gloriose Rückkehr von Jijés zu seinem Comicklassiker.
Heiner Lünstedt
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