Die Geschichte beginnt in einem sonnenleuchtenden italienischen Städtchen – als Inspiration diente dem Comiczeichner Manuele Fior sein in der Nähe der Adria gelegener Heimatort Cesena. Erzählt wird vom jungen, noch unerfahrenen Piero, dem sofort klar ist, dass das neue Nachbarmädchen Lucia für ihn die Richtige ist. Dies wird skeptisch beäugt von Pieros Kumpel, dem Frauenhelden Nicola, der völlig zu Recht befürchtet, seinen besten Freund an Lucia zu verlieren.
Das eigentliche Zusammenkommen der Liebenden zeigt der Comic nicht, zu sehen gibt es trotzdem einiges. Mit locker in flüssiger Acrylmaltechnik zu Papier gebrachten Bildern fängt Fior die Atmosphäre der Handlungsorte ein, zugleich aber auch die Seelenzustände seiner Figuren. Nach dem sonnigen Auftakt in Italien wechselt er abrupt das Farbspektrum und verlegt die Handlung in ein frostig düsteres Norwegen. Hier beendet eine deutlich gereifte Lucia eher beiläufig ihre Beziehung zu Piero und wendet sich einem anderen Mann zu.
Doch schon bald kehrt sie schwanger allein zurück in ihre italienische Heimat, während es Piero in die Fremde zieht. Trotz der räumlichen Distanz stehen die beiden sich in Gedanken weiterhin sehr nahe. In Ägypten – Fiors Bilder lassen spüren, dass es dort auch in der Nacht noch drückend heiß ist – erhält Piero unerwartet einen Anruf von Lucia. Trotz langer Sendepause herrscht sofort wieder eine große Vertrautheit, und Piero stellt fest, dass es bei ihrem Gespräch trotz einer Entfernung von 5000 Kilometer nur eine Zeitverzögerung von einer Sekunde gibt…
Die Frage ob Fünftausend Kilometer in der Sekunde auch autobiographische Elemente enthält, beantwortete Fior wie folgt: “Nicht wirklich, die Orte sind jene, die ich wirklich kennengelernt habe, weil ich dort gearbeitet habe. Doch die Geschichte ist wohl erfunden.“ Bevor Fior sich in Paris niederließ, zog es ihn unter anderem nach Venedig, Oslo und auch nach Berlin, wo 2004 sein erster längerer Comic Menschen am Sonntag entstand.
In teilweise meisterlicher schwarzweißer Grafik erzählte Fior davon, wie schwierig es ist, eine neu gefundene Heimat zu verlassen. Im Anschluss daran versuchte er in Ikarus, griechische Mythologie mit Motiven aus Goethes Faust zu remixen. Sehr viel interessanter ist seine danach entstandene Adaption von Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else, die er in stimmungsvollen Aquarellbildern und garniert mit Klimt-Zitaten in Szene setzte und 2012 auch als Hardcoverband in der Reihe Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels erschienen ist.
Fiors Fünftausend Kilometer in der Sekunde wurde 2001 auf dem Comic Festival in Angoulême zum besten Album gekürt – aus gutem Grund. Der Comic überzeugt durch die schlichte Schönheit der einzelnen Panels, aber auch durch die Art, wie Fior seine Geschichte erzählt – was vor allem heißt, wie geschickt er manches, wie die Begegnung der Liebenden, einfach auslässt. Dem Prinzip, nicht alles erzählen und zeigen zu müssen, folgen auch seine Bilder.
Die Kapitel beginnt Fior mit Abbildungen einer stetig zunehmenden Anzahl von Regentropfen, am Ende kommt dann der große Wolkenbruch. Da treffen dann Piero und Lucia, deutlich gealtert, in Italien wieder aufeinander, aber auch Jugendfreund Nicola spielt eine nicht unwichtige Rolle. Von der sonnigen Stimmung des Anfangs ist allerdings nichts mehr zu spüren. Das Wetter ist verhagelt und trübe wie die Stimmung des einstigen Liebespaares. Ein Unhappy-End – doch vermittelt Fior, dass für ein erfülltes Leben auch gescheiterte Liebesbeziehungen wichtig sind.
Heiner Lünstedt
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