Die Simpsons: Gelber wird’s nicht

Es bleibt weiterhin erstaunlich. Bereits ein halbes Jahr nach seinem wuchtigen Band Staying West: Comics vom Wilden Westen präsentiert Alexander Braun ein ebenso großartig recherchiertes und opulent bebildertes Fachbuch. Anlass sind der 70. Geburtstag von Matt Groening, das 35-jährige Bestehen der Animationsserie Die Simpsons, sowie eine von Braun kuratierte Ausstellung, die noch bis zum 27. Oktober bei freiem Eintritt im Schauraum Comic & Cartoon in Dortmund zu sehen ist.

Hier vielleicht ein paar persönliche Worte zu den Simpsons: Es gab eine Zeit, da setzte ich alles dran, um im ZDF bloß keine Folge mit der gelben Familie zu versäumen. Wegen der originellen Figuren von Homer oder Bart bestellte Kid Meals bei Burger King, sammelte die Comics und kaufte DVD-Editionen. Mittlerweile gibt es die Serie immer noch, ich habe jedoch irgendwann das Interesse daran verloren , keine Ahnung warum. Vielleicht ist es mit jeder Delikatesse so, dass diese bei regelmäßigen Konsum irgendwann nicht mehr so vortrefflich mundet wie am Anfang.

Auch durch intelligente Bücher wie Subversion zur Prime-Time: Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft konnte ich nicht als Simpsons-Fan revitalisiert werden. Doch dank Alexander Braun wurde mein Leben wieder etwas gelber. Vor dem Verfassen der Rezension habe erst einmal sicherheitshalber die DVD-Box mit der dritten Simpsons-Staffel, da dort die bei Disney+ fehlende Michael-Jackson-Episode Die Geburtstagsüberraschung enthalten ist, die zugleich auch noch Einer flog über das Kuckucksnest parodiert.

Ebenfalls bestellt habe ich das Comicheft Bart Simpsons Horror Show, da dort eine Treehouse-of-Horror-Parodie auf Swamp Thing enthalten ist, die von Len Wein und Bernie Wrightson, den Schöpfern des DC-Sumpfdings stammt. Außerdem amüsierte ich über diverse Vorspann-Sequenzen, für die Künstlern wie Bill Plympton, Guillermo del Toro, der Disney-Animator Eric Goldberg oder Banksy sehr individuell gestalteten Couch-Gags gestaltet haben.

Doch zurück zum Buch. Dieses besticht dadurch, dass Braun sich nicht darauf beschränkt Theorien über die Bedeutung der Serie und der “gelben Philosophen“ aufzustellen. Wichtiger ist es ihm, in Wort und Bild darzustellen, wie die Simpsons entstanden sind und warum sie auch nach mehr als 750 Episoden heute immer noch ein großer Erfolg sind. Das zentrale Thema der Serie ist “Familie“ und Hauptinspiration für Matt Groening war zweifelsohne sein Vater, der passenderweise auch Homer hieß.

Braun zeigt in seinem Buch viele Beispiele für die Kreativität des als Cartoonisten, Werbegrafiker und Filmemacher in Portland tätigen Homer Groening. Ein wichtiges Thema ist aber auch Matt Groenings 1977 gestarteter Comicstrip Life in Hell, dessen Hauptfigur der vom vom Leben überforderte Hase Binky ist. Die in einem lockeren Stil hingehauene Serie fand immer mehr Fans. Darunter befand sich auch der Filmemacher James L. Brooks (Zeit der Zärtlichkeit), dem es gelang die Produzente des neuen TV-Sender FOX davon zu überzeugen, kurze Animations-Sequenzen mit Szenen aus Live in Hell in der Tracey Ullman Show zu platzieren.

Während Groening seinerzeit im Vorzimmer des Büros von Brooks darauf wartete, seine Ideen den FOX –Managern vorzutragen, kamen ihm Zweifel, denn er wollte die Rechte an Life in Hell behalten. In wenigen Minuten entwarf er stattdessen eine Parodie auf perfekte TV-Familien. Aus Zeitmangel benannte er die Familienmitgliedern nach seinen Eltern und Schwestern. Er kam damit durch, und nachdem die kurzen Clips mit der gelben Familie die Ullman-Show bereichert hatten, konnte Brooks für die ersten 13 Episoden einer Simpsons-Serie bei FOX sagenhafte 13 Millionen Dollar locker zu machen.

Braun beschreibt und zeigt detailliert wie die Kommunikation zwischen den Autoren in Los Angeles und den Animatoren in Taiwan abläuft, wie die Drehbücher immer mehr verfeinert werden und wie fertig animierte Sequenzen aus Fernost noch einmal neu gedreht werden müssen, sofern sie nicht funktionieren. Zum Abdruck kommt ein kompletter Style Guide, der das Erscheinungsbild der Figuren bis ins Detail festlegt.

Ein großes Thema sind auch die Simpsons-Comichefte, die sich in Deutschland zeitweise größerer Beliebtheit als in den USA erfreuten. Das Buch enthält ein ausführliches Interview mit Bill Morrison, der nicht nur für die Comics zuständig war, sondern auch “Matt Groenings wichtigster Mann für Simpsons-Illustrationen jenseits der TV-Serie“ ist. Passend dazu kommen Abbildungen von Merchandise-Artikeln wie Adidas-Turnschuhe, bemooste Terrakotta-Tonköpfe von Homer oder auch ohne Lizenz in Handarbeit produzierte Simpsons-Figuren aus Mexiko mit Stars-Wars-Thematik.

Doch das ist noch lange nicht alles. Wir erfahren außerdem noch Details über die Zusammenarbeiten mit Michael Jackson und Banksy, über ein in der Nähe von Las Vegas in Originalgröße errichtetes Simpsons-Haus, sowie über eine 2021 exklusiv für die Pariser Modenschau von Balenciaga produzierte zehnminütige Episode.

Gelber kann es wirklich nicht mehr werden.

Heiner Lünstedt

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Abenteuer ohne Helden

Diese erstaunliche Edition erzählt Comicgeschichte(n) aus mehreren Jahrzehnten. Als Jean Van Hamme das erste in diesem Band enthaltene Album schrieb, arbeitete er noch bei Philips als sehr gut bezahlter Leiter der Abteilung für Haushaltsgeräte und langweilte sich. Nebenbei verfasste er Romane und Szenarios für Comics.
Daniel Henrotin alias Dany zeichnete damals in einem semirealistischen Stil die Funny-Serie Oliver & Columbine. Autor war Michel Louis Albert Régnier alias Greg, der 1965 auch als Chefredakteur das Comicmagazin tintin leitete. Van Hamme legte Greg das Szenario für eine 46-seitige abgeschlossene Geschichte vor. Greg fand die Story zwar sehr spannend, hielt sie aber nicht geeignet für Tintin, da dort nur Serien zum Abdruck kamen.
Warum Abenteuer ohne Helden dennoch von Dany in einem realistischen Stil in Szene gesetzt und nicht nur 1975 in Tintin, sondern zwei Jahre später auch noch erfolgreich als Album veröffentlich wurde, erzählt Volker Hamann (Reddition) in einem sehr lesenswerten und reich bebilderten Text, der in diesen Buch als Nachwort enthalten.
Van Hamme wählte den Titel Abenteuer ohne Helden, weil keine der zahlreichen Charaktere in seiner Geschichte die Hauptrolle spielt. Doch einige der fünfzehn Überlebenden eines Flugzeugabsturzes über dem Dschungel von Mato Grosso vollbringen durchaus Heldentaten, während andere sich ziemlich erbärmlich verhalten.
Anders als geplant, erschien 1997 doch noch eine Fortsetzung. Dany konzentriert sich mittlerweile auf erotische Comics und Van Hamme war mit Serien wie Thorgal, XIII oder Largo Winch einer der erfolgreichsten Autoren Europas. In 20 Jahre danach werden einige der Überlebenden Fluges Corair 512 ermordet und andere brechen auf zur Absturzstelle, um dort einen politisch brisanten Gegenstand zu finden…
Bei uns wurden die beiden sehr lesenswerten Alben zwar bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht, doch noch nie in einer Gesamtausgabe. Für die Edition von Schreiber & Leser spricht aber auch, dass erstmals als verbindende Elemente fünf zusätzliche Comicseiten und der amüsante Prosatext Flashback enthalten sind. Letzter stammt angeblich von Largo Winch, der darin schildert, wie er dem “oft unsäglich nervenden“ Van Hamme in einer Bar in Puerto Limon von jenem „Abenteuer ohne Helden“ erzählte.

Heiner Lünstedt

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Rummelsdorf 3: Eine Handvoll Kohlenstoffatome

Es erstaunt weiterhin, mit welchen ungewöhnlichen Themen sich eine Serie aus dem Spirou-Universum über die Abenteuer des noch halbwegs jungen Grafen Rummelsdorf beschäftigt. Nachdem er dabei half den Codes der von den Nazis entwickelten Dekodierungs-Maschine Enigma zu knacken, fand er im zweiten Album Patient A heraus, dass die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ihren Soldaten das Aufputschmittel Pervitin („Panzerschokolade“) verabreichten.

In Eine Handvoll Kohlenstoffatome, dem dritten Soloabenteuer von Pankratius Hieronymus Ladislaus Adalbert Graf von Rummelsdorf, geht es um Verhütung. Im Rahmen einer spannenden Handlung wird sowohl die Funktionsweise der Pille erklärt, als auch die Gefahren von durch medizinische Laien durchgeführten Abtreibungen thematisiert.

Nach einem erschütternden Prolog, in den (Vorsichtig, Spoiler) Rummelsdorfs Freundin Blair Mackenzie 1941 von ihm schwanger ist und bei dem Versuch einer Abtreibung ums Leben kommt, entwickelt der Graf die Grundlagen der Antibabypille. 1951 bekommt er Besuch aus den USA und reist mit Margaret Sanger, die sich für Frauenrechte und Geburtenkontrolle einsetzt, nach Boston.

Dort soll er seine Forschungsergebnisse mit anderen Wissenschaftlern teilen und wird auf dem Weg zu seinen Kollegen von Agenten verfolgt. In Boston kommen der Graf und Margaret an einem Kino vorbei, in dem gerade Alfred Hitchcocks Der Fremde im Zug gezeigt wird. Das ist natürlich kein Zufall, denn das zum Teil in einem Zug spielende Comic-Abenteuer erinnert an frühe Hitchcock-Filme wie Die 39 Stufen oder Eine Dame verschwindet.

Einmal mehr gelang ein großartig von David Etien ( Die Vier von der Baker Street) in Szene gesetztes Album, mit dem das Autorenduo Béka (Bertrand Escaich und Caroline Roque) erneut ein ernsthaftes Thema anspricht. Die Geschichte ist erschreckend aktuell, denn das höchste Gericht des US-Bundesstaats Arizona hat gerade ein 160 Jahre altes Abtreibungsgesetz für gültig erklärt. Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, drohen fünf Jahre Haft und den dortigen Frauen weiterhin ein ähnlich trauriges Schicksal wie Rummelsdorfs geliebter Blair.

Heiner Lünstedt

“Spirou präsentiert: Rummelsdorf 3: Eine Handvoll Kohlenstoffatome“

Corto Maltese: Die Königin von Babylon

Nachdem Corto Maltese bereits von den beiden Spaniern Juan Díaz Canales und Rubén Pellejero in den Alben Unter der Mitternachtssonne, Äquatoria, Tarowean – Tag der Überraschungen und Nacht in Berlin recht respektvoll im Stile seines Schöpfers Hugo Pratt fortgeführt wurde, startete 2021 mit Corto Maltese: Schwarzer Ozean ein anders gelagerter zweiter Revitalisierungs-Versuch, der sich sehr viel mehr Freiheiten nahm.

Hierin schickte der Autor und Historiker Martin Quenehen einen fast noch jugendlich wirkenden Corto Maltese auf eine Schatzsuche nach Japan und Peru. Die Geschichte spielt 2001, der Anschlag auf das World Trade Center wird thematisiert und Corto trifft kurz auf den damaligen US-Außenminister Colin Powell.

Die Fortsetzung dieses Comics trägt den Titel Die Königin von Babylon und es geht um eine junge Frau namens Semira. Dies ist die Kurzform für Semiramis, die auch unter dem Namen Šamuramat bekannt ist, in der Antike in Babylon das Reich der Assyrer regierte und Eroberungskriege führte. Nach einem Prolog in Venedig erzählt der Comic aber auch von den Wirren nach dem Balkankrieg. Dabei gibt es Gastauftritte von der der Fotografin Annie Leibovitz. Es tritt aber auch eine Figur auf, die George Lucas verblüffend ähnlich sieht und von “verborgenen Schätzen“ spricht.

In einem Nachwort versucht der in den Neunzigern als Kriegsberichterstatter in Bosnien-Herzegowina tätige Jean Hatzfeld der Comicstory von Martin Quenehen große Realitätsnähe zu attestieren. Zwar vermittelt der Comic ganz gut, dass es 2002 im ehemaligen Jugoslawien recht unübersichtlich zuging, doch es ist weniger die wirre Story, sondern eher die faszinierende Bildinszenierung von Bastien Vivès (Der Geschmack von Chlor, Polina, Für das Imperium, Letztes Wochenende im Januar), die für diesen Comic spricht.

Im Gegensatz zu seinem ersten Comic mit Corto Maltese verzichtet Vivès diesmal auf Farbeinlagen und setzt komplett auf markante Schwarzflächen und Grautöne. Das Resultat ist ähnlich klar und eigenwillig wie Hugo Pratts Zeichnungen in der Originalserie. Abgerundet wird der Band durch acht Seiten mit sehr schönen Skizzen und Entwurfszeichnungen.

Heiner Lünstedt

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Moga Mobo: Was vom Leben übrigbleibt

Seit 1994 erscheinen unter dem Titel MOGA MOBO Comics. Zunächst handelte es sich dabei um schwarzweiße Hefte, die ähnlich aussahen wie andere von Nachwuchszeichnern produzierte Fanzines. Doch dann begannen die Macher mit Form und Inhalt zu experimentieren. Es erschienen Bastelbögen, 24 Adventskalender-Heftchen oder es wurden auf 100 aus jeweils acht Panels bestehenden Seiten 100 Meisterwerke der Weltliteratur als Comic adaptiert.

Ab 2002 sind Titus Ackermann, Jonas Greulich und Thomas Gronle MOGA MOBO und ihre weiterhin gratis zu erhaltenden Comics konnten immer wieder überraschen. So gab es Kooperationen mit Comicschaffenden aus Japan, Kuba oder China. Dabei lernte Titus den koreanischen Zeichner Kim Dae Joong kennen, der von ihm möglichst genau erfahren wollte, wie das Leben in Deutschland im Dritten Reich, im Zweiten Weltkrieg und danach war.

Titus begann von seinem Großvater Gerhard Ackermann zu erzählen, der als Kampfpilot der Luftwaffe bei der Schlacht um El Alamein abgeschossen wurde und in der Nachkriegszeit Karriere machte, indem er aus Stacheldraht Nägel produzieren ließ. Kim war fasziniert und versuchte Titus davon zu überzeugen, aus dem Leben seines Opas einen Comic zu machen.

Es dauerte ein Jahrzehnt, doch jetzt ist es soweit. In MOGA MOBO # 118 beginnt Titus unter dem Titel Was vom Leben übrig bleibt ein deutsches Leben zu erzählen. Dies geschieht jedoch nicht chronologisch, sondern beginnt 1978 mit Gerhard Ackermann als alten Mann, der ziemlich wütend wird, als er und seine Enkel von einem glatzköpfigen Neonazi angesprochen werden. Doch seine Wut hat nichts mit Vergangenheitsbewältigung zu tun, sondern Gerhard sagt zum Skinhead: “Leute wie Euch hätten wir als Allerste ins Lager gesteckt.“

Es folgt ein weiterer biografischer Puzzlestein, der davon erzählt, wie Titus einen Anruf von Opa Gerhard aus dem Altersheim erhält und dieser ihm mitteilt, dass dort „überall Zivis sind und es für ihn okay ist, dass sein Enkel dies auch macht.“ Es folgen Impressionen aus dem Jahre 1989, die Titus und seine Verwandten dabei zeigen, wie sie das Haus des gerade verstorbenen Gerhard Ackermanns entrümpeln und dabei ungelesen wirkende Bücher von Autoren wie dem Holocaust-Leugner David Irving und eine Ausgabe von Mein Kampf finden.

Weitere Details über das Leben seines Großvaters wird Titus in den nächsten Monaten in drei weiteren jeweils 64-seitigen Ausgaben von MOGA MOBO nachliefern. Hier kommen Hintergrundinfos und die knapp 200-seitige Graphic Novel Was vom Leben übrig bleibt zum Abdruck.

Diese wird laut Titus “von 1913 bis 1989 viele Eckpunkte der jüngeren deutschen Geschichte streifen, von der Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen über Kämpfe zwischen Kommunisten und Stahlhelmen, Hunger und Wirtschaftskrise, Hitlers Machtergreifung, den Krieg und die Zerstörung als auch das Wirtschaftswunder.“

Der Auftakt ist vielversprechend und es lohnt sich das Projekt zu unterstützen. Das Werk ist auch in einer limitierten Auflage direkt über MOGA MOBO zu beziehen, damit keine Ausgabe verpasst wird. Wer für insgesamt 35,- Euro dabei ist, wird reich belohnt, denn jedes der vier Hefte kommt gleich nach Erscheinen nummeriert und signiert frei Haus. Zudem gibt es jeweils einem Panorama-Schutzumschlag und alle Abonnenten erhalten als Bonus einen exklusiven Siebdruck!

Heiner Lünstedt

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Perfect Days

Die Vorfreude auf einen zweistündigen Film von Wim Wenders über einen Toilettenreiniger hält sich in sehr engen Grenzen. Doch seinen ersten Pluspunkt erhält Perfect Days dadurch, dass der Schauplatz Tokio ist. Wie ja einigermaßen bekannt sein dürfte, gibt es in Japan irrsinnig komplizierte Toiletten mit ganz vielen Knöpfen.

In Wendersʼ Film aber auch zu erfahren, dass sich die WCs in Tokio in ziemlich verrückt aussehenden Gebäuden befinden. Die Krönung ist ein Bauwerk mit durchsichtigen in unterschiedlichen Farben getönten Klokabinen, die der Toilettenbenutzer nach Betreten auf undurchsichtig umschalten kann.

Wenn in den ersten 30 Minuten gezeigt wird, wie Hirayama (Kōji Yakusho) früh morgens aufsteht und mit ebenso großer Routine wie Effizienz diverese Designer-Bedürfnisanstalten auf Vordermann bringt, kommt keinerlei Langeweile auf.

Der Auftakt des Films wirkt wie eine Arte-Doku ohne alles wissende Erklärstimme.

Doch nach und nach ist mehr über Hirayama zu erfahren. So verbringt er seine Pause in einem Park, in dem er Bäume fotografiert und kleine vielversprechende Schösslinge für daheim ausgräbt. Hierzu hat er eigens kleine aus Zeitungspapier gefaltete Blumentöpfe zum Ausklappen in seiner Brieftasche dabei, der DVD zum Film liegt hierzu eine Bauanleitung bei.

Nach und nach ist immer mehr über Hirayama zu erfahren, über seine Leidenschaft für klassische Rocksongs von Patty Smith, Lou Reed oder Van Morrison, die er sich auf antiken Musikcassetten anhört, die in Japan anscheinend mittlerweile hoch gehandelt werden.

Wir bekommen mit, wie Hirayamas seine Woche mit Besuchen im Badehaus, in einer Buchhandlung und am Wochenende in einer Kneipe mit singender Barfrau perfekt durchgeplant hat. Doch es wäre kein Spielfilm, wenn das Leben der Hauptfigur nicht etwas durcheinandergebracht wird. Hierfür sorgen u. a. ein Besuch von Hirayamas kleiner Nichte und der Exmann der singenden Barfrau.

Es sind tatsächlich einige perfekte Tage, an denen Wim Wenders den Zuschauer teilhaben lässt.

Heiner Lünstedt

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Blutch: Lucky Luke – Die Ungezähmten

Es ist erfreulich, dass der Trend, Comickünstlern wie Christophe Blain bei Blueberry, Flix bei Spirou, Pieter De Poortere bei Micky Maus oder Thomas von Kummant bei Batman Serienhelden in ihren eigenen Stil gestalten zu lassen, weiterhin anhält.

Nachdem Guillaume Bouzard, Mawil, Ralf König und zweimal Matthieu Bonhomme recht unterschiedliche Comicalben mit Lucky Luke zeichneten, folgt jetzt die sechste Hommage an den 1946 von Morris erfundenen Cowboy. Zum Einsatz kam der experimentierfreudige Christian Hincker der Comics als Blutch, aber auch schon einmal als Blotch – der König von Paris, veröffentlicht und 2009 auf dem Comicfestival in Angoulême den Grand Prix gewann.

Im Hommage-Bereich hat er bereits Erfahrung. Nach einem Szenario seines Bruders Robber zeichnete Blutch mit Wo ist Kiki? ein neues Abenteuer des klassischen Detektiv-Duos Harry und Platte. In seiner autobiografischen Serie Der kleine Christian outete sich Blutch bereits als Fan von Lucky Luke. Vielleicht ist auch daher das von ihm gezeichnete Abenteuer mit dem Mann, der schneller zieht als sein Schatten zwar halbwegs schräg gezeichnet, doch erstaunlich konventionell erzählt.

Im Zentrum von Die Ungezähmten stehen die Geschwister Rose und Casper, deren Eltern verschwunden sind, während ihr großer Bruder Kinker jr., auf den ein Kopfgeld von 20 Dollar ausgesetzt war, von Lucky Luke verhaftet wurde. Während er versucht die Eltern zu finden, muss Lucky Luke auch noch auf die nervigen Kinder aufpassen…

Französische Sonderausgabe

Dieser Story trotz Blutch viele vorhersehbare und einige wenige ganz nette Gags ab, die meist auf Ortschildern wie “El Paso – Gesetz, Ordnung und manchmal Gerechtigkeit“ oder “Willkommen in den USA, lass Dich hier ruhig permanent nieder, Fremder – Unter unserer Erde“ zu finden sind.

An dieser Stelle möchte ich mich bei “Comicverführer“ Timur Vermes bedanken. In der auf seinem Blog veröffentlichten Rezension zu Die Ungezähmten weist er darauf hin, dass auf der Rückseite des Albums doch noch ein erstaunlich guter Gag zu finden ist.  Hier hat Blutch das klassische Bild, in dem Lucky Luke auf seinen Schatten schießt, neu gezeichnet und nicht mit „Der Mann, der schneller zieht als sein Schatten“, sondern mit „Der Mann, der den Zaun erschoss“ untertitelt.

Heiner Lünstedt

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Das Ungeheuer von Loch Ness

1953 inszenierte Eugène Lourié für 250.000 Dollar mit Panik in New York den zweiten Kinofilm des Stop-Motion-Experten Ray Harryhausen. Im Zentrum der turbulenten Handlung stand ein von Harryhausen erfundener riesiger Rhedosaurier, der nach einem Atombombentest in der Antarktis auftaut und New York verwüstet.

Der Film spielte über fünf Millionen Dollar ein und bereits 1954 drehten die Japaner mit Godzilla ihre eigene Version des Films. Um aufwändige Trickeffekte zu vermeiden, wurde einfach ein Mann in ein Gummikostüm gesteckt, und dieser trampelte auf Miniaturlandschaften herum.

Auch Godzilla wurde zu einem weltweiten Erfolg und wieder war es Eugène Lourié, der mit Das Ungeheuer von Loch Ness in England einen weiteren ähnlich gelagerten Film über ein radioaktiv verstrahltes Monster drehte. Dabei wurde wieder auf sorgfältig realisierte Stop-Motion-Effekte zurückgegriffen, für die Willis O’Brien verpflichtet wurde, der 1933 King Kong zum Leben erweckte.

Cover A

Doch in der ersten Stunde des Films gibt es kaum Trickeffekte zu bestaunen. Wenn das Ungeheuer auftaucht, handelt es sich um eine starre Puppe, die eigentlich beweglich sein sollte. Da die Mechanik jedoch defekt war und es kein Budget für Reparaturarbeiten gab, wirkten die ersten Auftritte des Monsters sehr albern. Wenn The Giant Behemoth (so der Originaltitel des Films) in den letzten zwanzig Minuten London terrorisiert, kann die Tricktechnik doch noch punkten, auch wenn O’Brien hier einige Szenen seines Schülers Ray Harryhausen aus Panik in New York nachgestellt hat.

Cover B

Für den schwarzweißen Film sprechen auch die stimmungsvollen Außenaufnahmen, die in Cornwall gedreht wurden, sowie die beiden sehr guten Hauptdarsteller Gene Evans (Spencers Piloten) und André Morell (Der Hund von Baskerville, Nächte des Grauens), die zwei unterschiedlich temperierte Wissenschaftler aus USA und Großbritannien spielen. Daher ist es sehr erfreulich, dass bei Anolis Entertainment Das Ungeheuer von Loch Ness als bestens ausgestattete Blu-ray-Edition erschienen ist, wahlweise gibt es diese auch als Mediabook mit drei verschiedenen Covern.

Cover C

Kernstück der Edition ist die knapp 80-minütige US-Fassung, zu der es zwei Audiokommentar von Dr. Rolf Giesen, sowie von Ingo Strecker & Christian Keßler eingesprochen wurden. Außerdem ist die deutsche Fassung in den Formaten 1.37:1 und 16:9 (75:08 min) enthalten, sowie ein interessanter Bericht über die Restaurierung der Vollbild-Fassung (15:09 min).

Hinzu kommt die britische Erstauführungsfassung (71:32 min), Ingo Streckers Bericht “Das letzte Ungeheuer des Willis O’Brien“ (5:43 min), ein Interview mit dem dritten Regieassistenten Ron Purdie (7:24 min), der US-Trailer in zwei Formaten (jeweils 2:02 min), der deutscher Trailer (1:54 min), von Ingo Strecker vorgelesene Verrisse aus “Der Katholische Filmdienst“ und “Der Evangelische Filmbeobachter“, eine britischen und eine US-amerikanische Super-8-Fassungen, den deutschen Werberatschlag sowie Bildergalerien.

Heiner Lünstedt

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Blacksad 7: Wenn alles fällt – Teil 2

Der hartgesottene Detektiv John Blacksad ist ein schwarzer Kater, der Anzug und eine locker gebundene Krawatte trägt. Sein bester Kumpel ist der als Journalist arbeitende Wiesel Weekly und der bei der Polizei tätige deutsche Schäferhund Smirnov ist eine Art väterlicher Freund.

Auch die restliche Belegschaft stammt aus dem Tierreich. Da gibt es Nilpferde, Flamingos, Krokodile, Gorillas, Möwen, Ziegen oder Eisbären, die im Stile der Vierziger bekleidet sind und von Juanjo Guarnido (Der große Indienschwindel) in seinem unvergleichlichen Stil in atemberaubenden Farben als Synthese aus Disney und Bogart zu Papier gebracht werden.

Doch auch die Stories des ebenfalls aus Spanien stammenden Autors Juan Diaz Canales (Corto Maltese) können sich sehen bzw. lesen lassen. Seine letztes Blacksad-Story Wenn alles fällt fiel so komplex aus, dass er sie auf zwei Alben verteilte.

In zahlreichen locker verzahnten Episoden erzählte Canales davon, wie mächtige Großstadtbewohner ohne Rücksicht auf ihre Mitbürger, mit aller Gewalt ihre egoistischen Interessen durchsetzen. Zugleich knüpfte er diverse Beziehungsgeflechte, etwa zwischen Weekly und der Schauspielerin Rachel. Zudem tauchte auch noch Blacksads seit Band 3 verschollene Flamme Alma Meyer wieder auf…

Beim Fortsetzungsband von Wenn alles fällt handelt es sich um das siebte Album der 2000 gestarteten Erfolgsserie. In einem mitreißend in Szene gesetzten Finale führt Canales souverän alle Fäden zusammen. Dabei halten sich die Überraschungen in engen Grenzen. Doch angesichts von Guarnidos prachtvollen Bildern ist das Jammern auf sehr hohem Niveau.

Heiner Lünstedt

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Sergio Ponchione: Memorabilia

Bereits 2013 veröffentlichte Sergio Ponchione mit DKW einen 27-seitigen Comic über Steve Ditko (Spider-Man), Jack Kirby (Fantastic Four) und Wally Wood (MAD, EC-Comics). Der italienische Comickünstler tritt in dieser Story auch selber auf und macht einen Nachwuchszeichner mit den drei Großmeistern des US-Comics vertraut.

Durch beeindruckende Collagebilder, in denen er die unterschiedlichen Zeichenstile des Trios sowohl imitiert als auch interpretiert, vermittelt er biografische Details. Für den vorliegenden Band hat Ponchione seinen Comic um Hommagen an Will Eisner und Richard Corben ergänzt.

Auch sein eigenes Licht stellt Ponchione dabei nicht unter den Scheffel und weist darauf hin, dass es in seiner Heimatstadt Asti eine Dauerausstellung mit seinen Werken gibt.

Das mag etwas arrogant wirken, doch dem seit den Neunzigern in der Comicbranche tätigen Zeichner gelingt ein informativer und großartig in Szene gesetzter Exkurs durch die Geschichte seines Mediums.

Es wäre sehr erfreulich, wenn Sergio Ponchione in diesem Stil auch noch die in seinem Comic angekündigten Biografien über Alex Toth, E. C. Segar und Robert Crumb nachliefern würde.

Heiner Lünstedt

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