Reinhard Kleist: David Bowie

Nach seinen biografischen Comics zu Johnny Cash, Elvis Presley und Nick Cave hat sich Reinhard Kleist einen weiteren Musiker vorgenommen. Bereits vor eineinhalb Jahren erschien bei Cross Cult unter dem Titel Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume ein Comic, der sich mit jener Zeit in den frühen 70er-Jahren beschäftigt, als David Bowie in der schillernden Rolle von Ziggy Stardust der große Durchbruch gelang.

Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust YearsDer detailfreudig von Mike Allred (Madman) in Szene gesetzte Comic konzentriert darauf, jeden Prominenten vorzustellen, den Bowie seinerzeit traf. Auch Kleist gelingen gut erkennbare Portraits von Andy Warhol, Lou Reed oder Iggy Pop, stärker aber noch ist er aber am Menschen David Bowie interessiert.

Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust Years
Cover der Luxusausgabe

Eins die zentralen Themen von Kleists Comic ist dessen Beziehung zu seinem lebenslustigen Bruder Terry, der den halbwüchsigen Bowie nach London zu Jazz-Konzerten mitnahm und immer wieder ermutigte seinen eigenen Weg zu gehen. Als David Bowie erfolgreicher wurde, ließ Terrys geistige Gesundheit zunehmend nach und der aufstrebende Star fand nur noch selten Zeit, sich um seinen Bruder zu kümmern.

Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust YearsNachdem er zuvor meist in Schwarzweiß arbeitete, setzte Kleist diesmal sehr stark auf eine passende Kolorierung. Bei der Schilderung der frühen Erlebnisse Bowies kommen nur bräunlich-graue Schmuckfarben zum Einsatz, doch bei der Visualisierung der Texte von Songs wie Five Years oder Major Tom lässt es Kleist so richtig grell krachen. Dabei wird er kongenial unterstützt von Thomas Gilke.
Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust YearsAuch die mitreißend eingefangenen Live-Auftritte von Bowie in krassen Kostümen bekommen durch Gilkes kontrastreiche Farbgebung einen gewaltigen Drive.
Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust YearsErwartungsgemäß endet der Comic mit jenem Konzert im Londoner Hammersmith Odeon, auf dem sich Bowie 1973 auch zur Überraschung seiner Spiders-from-Mars-Band von der ihm immer unheimlicher werdenden Kunstfigur Ziggy Stardust verabschiedete.
Eine kleine Überraschung hingegen ist die Ankündigung am Ende des Albums, die mitteilt, dass sich Kleist in der Fortsetzung LOW mit David Bowie’s Berlin Years beschäftigen wird.

Reinhard Kleist: Starman - David Bowie's Ziggy Stardust Years
Aus „Berliner Mythen“

Einen Vorgeschmack darauf bietet eine entsprechende Episode aus Kleists Sammelband Berliner Mythen.

Heiner Lünstedt

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Jan Reiser: De Gschicht vom Brandner Kasper

Der 72-jährige Büchsenmacher Brandner Kasper soll vom Boandlkramer (alias Gevatter Tod) in den Himmel geleitet werden. Doch der lebensfrohe Bergbewohner denkt überhaupt nicht daran seine Heimat am Tegernsee zu verlassen. Mit Kirschwasser überredet er Gevatter Tod zu einem Kartenspiel und trotzt ihm achtzehn zusätzliche Lebensjahre ab. Dies kommt bei Petrus nicht besonders gut an und dem listigen Kasper wird der Himmel auf Probe angeboten.

Der Münchner Schriftsteller Franz von Kobell verfasste die Geschichte vom Brandner Kasper 1871 für die Fliegenden Blätter. Genau wie Ludwig Thomasʼ Münchner im Himmel wurde sie in zahlreichen Versionen immer wieder revitalisiert und zu einem festen Bestandteil des weißblauen Mythenschatzes.
Der mittlerweile als Lurchi-Zeichner tätige Jan Reiser trug bereits für die Diplomarbeit seines Kommunikationsdesign-Studiums bayrische Sagen wie Die Wolfgrube von Rottach -Egern oder Der Gstettner Girgl geht zum Kammerfensterln zusammen und illustrierte diese. Mittlerweile wurden diese von der edition buntehunde unter dem Titel In rauer Nacht in einem liebevoll aufgemachten querformatigen Band veröffentlicht.
Doch ganz besonders beeindruckt hatte ihn der Brandner Kasper und dies vor allem durch die häufig ausgestrahlte Fernsehfassung der Inszenierung des Münchner Residenztheaters. Einen bleibenden Eindruck hinterließ Toni Bergers durchaus grausige Verkörperung des Boanlkramer. Daher war Jan Reiser hocherfreut als er 2009 durch die edition buntehunde die Möglichkeit erhielt, aus De Gschicht vom Brandner Kasper ein Bilderbuch zu machen.
De Gschicht vom Brandner KasperKobells in Mundart verfasster (und auch für Zugereiste durchaus nachvollziehbarer) Text kommt dabei komplett zum Abdruck. Der genau wie die Hauptfigur vom Tegernsee stammende Reiser setzt in seinen Zeichnungen gelegentlich – etwa beim Kartenspiel zwischen Kasper und dem Boandlkramer – auch Comic-Stilmittel ein. Das verwundert nicht weiter, denn nahezu zeitgleich erschien beim Ehapa Verlag sein Comic-Album Sticks und Fingers.

Reisers Bilder vom Brandner Kasper fangen die leicht nostalgische Atmosphäre eines ländlichen von Kriegswirren bedrohten Bayerns sehr gut und sind daher eine optimale Ergänzung zu Kobells unsterblicher Geschichte von der Unsterblichkeit. Mittlerweile liegt Jan Reisers Brandner Kasper auch in hochdeutscher und englischer Sprache vor, die Hauptfigur heißt dann allerdings Brandner KaspAr.

Heiner Lünstedt

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Chris Scheuer: Reiche Ernte

1984 wurde auf dem 1. Internationalen Comic-Salon in Erlangen der Österreicher Chris Scheuer als „Bester deutschsprachiger Comickünstler“ ausgezeichnet. Scheuer wuchs in der Nähe von Graz auf und kannte zunächst nur Disney-Comics. Er hielt es für eine innovative Idee Geschichten mit realistisch gezeichneten Figuren zu erzählen.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Hierdurch kam er mit dem Wiener Fachmagazin Comic Forum in Kontakt und erregte dort durch seinen unverwechselbar dekorativen Stil und mit Comics wie Marie Jade auch in Frankreich schnell Furore. Er arbeitete jedoch hauptsächlich für die Werbung. Eher nebenbei entstand nach einem Szenario von Wolfgang Mendl, mit Sir Ballantime sein bisher wohl ambitionierter Comic.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

29 Seiten dieses im Indien des Jahres 1906 spielenden Comics wurden zunächst im kurzlebigen Comicmagazin Moxxito vorabgedruckt. Das schließlich vollende Farbalbum erschien 1990 im Rahmen eines sogenannten „deutschen Monats“ bei Carlsen. Doch es sollte 10 Jahre dauern, bis wieder eine Geschichte mit Scheuers adeligen Helden erscheint, der plötzlich (angeblich nicht aus lizenzrechtlichen) Sir Bell´Ol`Times hieß.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

In letzter Zeit ist es sehr ruhig um Chris Scheuer geworden, was auch daran liegen kann, dass die meisten seiner Comics zwar schön anzusehen sind, er aber mit seinen Autoren bisher wenig Glück hatte. Daher überraschte es, als bei Panini ein Comeback angekündigt war. Der Hardcover-Band Reiche Ernte enthält von Scheuer gezeichnete Kurzgeschichten, deren Vorlagen vom österreichischen Autor Matthias Bauer (Morbus Dei, Das Blut der Pikten) stammen.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Dessen Stories setzen souverän Fantasy-, Mystery- und Horror-Versatzstücke ein, sind spannend erzählt und enden häufig mit einer wirklich überraschenden Schlusspointe. Basierend auf dieser soliden Grundlage schuf Chris Scheuer originelle Comics, die er in einem etwas reduzierteren Stil als seine früheren Werke zu Papier brachte. Meistens arbeitet er in Schwarzweiß, gelegentlich setzt er aber auch Farbe ein. Die so entstandenen Comic-Geschichten lassen durchaus an die Horror-Comic-Klassiker aus den Hause EC wie Tales from the Crypt denken.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Dies trifft ganz besonders auf die Titelstory Reiche Ernte zu, die das Thema Holocaust in einer Horrorgeschichte einsetzt. Dass dies gut gehen kann, bewies der Klassiker Master Race von Bernie Krigstein, der 1955 im EC-Comicheft Impact erschien. Ganz diese Klasse erreicht Matthias Bauers Geschichte über einen Priester im Konzentrationslager nicht, doch Chris Scheuers Bilder verharmlosen das reale Grauen nicht.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Ich würde durchaus so weit zu gehen, zu behaupten, dass dies der erste wirklich lesbare Comic von Chris Scheuer ist und es ist sehr erfreulich, dass noch zwei weitere Bände von Reiche Ernte erschienen sind.

Chris Scheuer: Reiche ErnteBand 2 liegt mittlerweile vor und enthält nur drei statt fünf Geschichten, wobei Chris Scheuer bei einer davon auch Farbe einsetzte. Da mich persönlich diesmal die Pointen von Matthias Bauer nicht wirklich überraschten, bzw. sich in einem Fall erst durch das Nachwort erschlossen haben, würde ich diesmal von einer etwas weniger reichen Ernte sprechen. Scheuers Artwork ist jedoch wieder phänomenal.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Der Abschlussband präsentiert wieder fünf Stories. Eine davon trägt den Titel Früher hab ich den Herbst geliebt und liegt dem gebundenen Band im Leporello-Format als Poster bei. In seinem Vorwort bezeichnet Matthias Bauer diese Storysammlung als “ein in allen Belangen krönendes Finale“. Das erscheint etwas hochgegriffen, denn in Sachen originelle Pointen und grafische Raffinesse hinken diese letzten fünf Geschichten leider etwas hinter dem beeindruckenden Auftakt im ersten Band her.

Chris Scheuer: Reiche Ernte

Doch manche überraschende Wendung – Stichwort “Serial-Killer-Jagd als Disney-Film“ – gibt es dennoch und besonders gelungen ist wieder der Anhang mit Skizzen und sehr schönen alternativen Titelbildern.  Daher sei auch Reiche Ernte 3 allen Comicfreunden ans Herz gelegt. Dies gilt in einem noch stärkeren Maße für Chris Scheuers durch eine Crowdfunding-Kampagne ermöglichte Comic-Autobiografie.

Heiner Lünstedt

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Captain Future: Der ewige Herrscher

Captain Future war Ende der Siebziger bei der Ausstrahlung im japanischen Fernsehen kein großer Erfolg und wurde daher nicht wiederholt. Doch die auf Science-Fiction-Geschichten von Edmond Hamilton aus den Vierzigern basierende Anime-Serie wurde für den internationalen Markt konzipiert und fand in Europa ein durchaus begeistertes Publikum.

Als das ZDF Captain Future Ende 1980 startete, nahm sich der Sender bei der deutschen Bearbeitung allerlei Freiheiten. Die Reihenfolge der aufeinander aufbauenden Episoden wurde willkürlich geändert und – was sehr viel schlimmer war – es wurde gnadenlos gekürzt.
Doch anderseits kam bei der Synchronisation mit Gerd Duwner, Friedrich Schoenfelder, Arnold Marquis, Joachim Kerzel und Reinhard Kolldehoff die deutsche Sprecherelite zum Einsatz. Zu hören waren auch Wolfgang Völz als Otho und Friedrich G. Beckhaus als Grag, die zuvor in Raumpatrouille Orion als Mario de Monti und Atan Shubashi aufgetreten sind.

Noch wichtiger ist der immer noch sehr hörenswerter eigens für die deutsche Fassung komponierte Soundtrack von Christian Bruhn mit der unvergesslichen Titelmelodie, die von seiner Ehefrau Erika Goetz “mit Elfengesang vom Planeten Megara“ (laut.de) eingesungen wurde.

Auch in Frankreich erklang im Vorspann der dort Captaine Flam genannten Serie eine völlig andere Titelmelodie als in Japan. Zu den Fans der Serie gehören auch der 1971 in Belgien geborene, vielbeschäftigte Comicautor Sylvain Runberg (u. a. Warship Jolly Roger, Conan, sowie Stieg Larssons Millennium-Trilogie) und der 1977 in Südfrankreich zur Welt gekommene Zeichner Alexis Tallone. Für beide ging mit einer eigenen Comicversion von Edmond Hamiltons Captain Future and the Space Emperor ein Jugendtraum in Erfüllung.
Mit dieser Geschichte wurde sowohl die Romanreihe als auch, mit der Episode Der Herrscher von Megara, die Animationsserie mit Captain Future gestartet. Es geht um eine mysteriöse Epidemie, die einige Menschen auf dem Planeten Megara in affenartige Wesen verwandelt hat. Zusammen mit seiner Crew versucht Captain Future herauszufinden, wer dahinter und unter der Maske des angeblichen Herrschers von Megara steckt.
Bei seinen Zeichnungen hat sich Alexis Tallone sehr stark am Design der Animationsserie orientiert, was ganz sicher im Sinne der Fans ist.
Bei der Story hingegen nahm sich Sylvain Runberg allerlei Freiheiten, wobei es durchaus Sinn macht, den Comic mit der in der Serie nicht gezeigten Ermordung von Captain Futures Eltern zu beginnen.
Ob es wirklich zwingend nötig war, die „Regierung des Weltraums“ von New York nach Tokyo zu verlegen, oder eine andere Herkunftsgeschichte für den ebenfalls zur Crew gehörenden Jungen Ken Scott, sowie für die außerirdischen Haustiere Yiek und Oak zu erzählen, mögen dogmatischere Fans des Captains als ich entscheiden.
Alle Abbildungen © Runberg – Kana (Dargaud-Lombard s.a)

Für diese hat sich Carlsen besonders viel Mühe gegeben und eine limitierte Luxusausgabe des Comics mit zusätzlichen Schutzumschlag, sowie sechzehn Seiten Zusatzmaterial, wie Skizzen, Illustrationen oder Interviews, veröffentlicht. Ich persönlich würde mich sehr freuen, wenn Runberg und Tallone meine Lieblingsepisode Das Geheimnis der sieben Steine als ebenso schönen Comic adaptieren würden.

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Der König der Vagabunden

Gregor Gog ist ziemlich in Vergessenheit geraten, doch er hat Spuren hinterlassen. Mit Der Kunde gründete und leitete der selbst meist auf der Straße lebende ehemalige Matrose der Kriegsmarine 1927 die erste Obdachlosen-Zeitung Europas. Hierin wurden neben Karikaturen und Cartoons auch Texte von Erich Mühsam, Maxim Gorki und Oskar Maria Graf veröffentlicht.

Noch mehr Aufmerksamkeit erregte seinerzeit der 1929 von Gog in Stuttgart veranstaltete Vagabundenkongress. Nachdem der dem Bürgertum ohnehin sehr kritisch gegenüberstehende Gregor Gog Anfang der 30er-Jahre die Sowjetunion bereiste, wurde er zum glühenden Kommunisten. Wie viele Bettler und Vagabunden wurde Gog nach der Machtergreifung von den Nazis inhaftiert. Fast vollständig gelähmt gelang ihm die Flucht zuerst in die Schweiz und dann in die Sowjetunion. 1945 verstarb er unter tragischen Umständen.

Der König der VagabundenDer Comic Der König der Vagabunden ist die erste Biografie von Gregor Gog. Der Autor Patrick Spät konzentriert sich auf die Jahre, in denen Gog nach dem Ersten Weltkrieg in einer anarchistischen Kommune lebte, durch Deutschland vagabundierte, das harte Leben auf der Straße in Berlin kennenlernte und seinen Kongress ins Leben rief.

Der König der VagabundenEine wichtige Rolle innerhalb des Comics spielen aber auch zwei Frauen: Gogs Ehefrau, die Kinderbuch-Autorin Anni Geiger, sowie seine zeitweilige Mit-Vagabundin Jo Mihaly, die eine bekannte Tänzerin und Dichterin wurde. Die in Italien geborene Bea Davies (Super-Gau) hat die Biografie in ausdrucksstarke schwarzweiße Bilder umgesetzt. Ihr und Patrick Spät gelang ein sehr berührender historischer Comic über noch lange nicht überwundene soziale Ungerechtigkeiten.

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Modesty Blaise – Band 3

„Man nannte sie öfter einen weiblichen James Bond, aber das ist das Letzte, was sie ist. Bond ist einer der großartigen Roman-Charaktere des zwanzigsten Jahrhunderts, aber er existiert nur, während er auf Mission ist – er hat kein Heim, keine Freunde, keine Interessen.

Modesty Blaise hat das alles: Sie hat einen kleinen Kreis sehr naher Freunde, sie ist an vielen Dingen interessiert und sie hat ein Privatleben, das immer gegenwärtig ist und mit den Ereignissen, nicht Missionen, in die sie auf die eine oder andere Art verwickelt wird. Für den Britischen Geheimdienst hat sie in fünfundneunzig Comic-Storys und einundzwanzig Romanen nur zweimal gearbeitet.“
Dies sagte der Autor Peter O’Donnell in einem Interview über seine 1963 geschaffene Comicstrip-Heldin. Die drei in diesem Sammelband enthaltenen Comicgeschichten belegen die Aussage sehr gut. Im ersten Abenteuer Top Traitor machen sich Modesty Blaise und Willie Garvin zwar auf die Suche nach dem verschwundenen Geheimdienstchef Sir Gerald Tarrant, doch der Grund dafür ist kein Auftrag. Die einzige Motivation für ihren Einsatz ist ihre Freundschaft zu Tarrant.
Der Einstieg in die aus 118 Zeitungsstrips bestehende Story The Vinkings ist sehr interessant mit der kriminellen Vergangenheit der beiden Hauptfiguren verknüpft. Ein junger Mann namens Olaf, der einst äußerst schlampig für Modesty Blaise arbeitete, ist mittlerweile in der Bande des egozentrischen Magnus, der sich für den “letzten Wikinger“ hält. Modesty lehnt das Angebot von Olafs wohlhabenden Vater ab, Olaf aus den Fängen von Magnus zu befreien. Doch als sie von dessen Ehefrau um Hilfe gebeten wird, tritt Modesty zusammen mit Wilie gegen Magnus und seine Wikinger an.
Auch in der Geschichte The Head Girls ist es kein Auftrag des britischen Geheimdienstes, der Modesty auf eine gefährliche Mission sendet. Zufällig trifft sie bei einem gemeinsamen Urlaub mit Willie auf Industriespione und eine Organisation, die angehende Sekretärinnen dazu ausbildet die Geheimnisse ihrer zukünftigen Chefs an sie zu verraten. Die Story gipfelt schließlich in einer Konfrontation mit Modestys Erzfeind Gabriel.
Doch es sind nicht nur die raffiniert und mitreißend erzählten Geschichten, die diesen schwarzweißen Zeitungsstrip auch nach 60 Jahren immer noch lesenswert machen, sondern ebenso die großartigen Bilder von Jim Holdaway, der unvergleichlich elegant mit Pinselstrichen und Schwarzflächen arbeitet. Genau wie bei der Veröffentlichung des Klassikers Prinz-Eisenherz hat sich Achim Dressler vom Bocola Verlag auch hier großen Aufwand betrieben, um die einzelnen Strips in bestmöglicher Qualität präsentieren zu können. Aus dem Archiv des englischen Lizenzgeber erhielt er hierzu sehr viel bessere Druckvorlagen als die vorherigen Verleger.
Es ist zu hoffen, dass in dieser weltweit einzigartigen Gesamtausgabe alle von Peter O’Donnell geschriebenen Comics mit Modesty Blaise erscheinen werden.

Heiner Lünstedt

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Craig Thompson: Ginsengwurzeln

2003 erschien ein epischer Comic, an dem Craig Thompson mehr als drei Jahre geschrieben und gezeichnet hatte. Blankets erzählt auf knapp 500 Seiten sehr sensibel und bildgewaltig davon, wie Thompson zusammen mit seinem Bruder Phil im ländlichen Wisconsin bei seinen streng religiösen Eltern aufwächst.

In einem winterlichen Kirchencamp verliebt er sich in Raina, doch obwohl seine Gefühle erwidert werden, steht den jungen Leuten ihre religiös-fundamentalistische Erziehung im Wege.
Blankets wurde zu einem großen Erfolg bei Lesern und Kritikern. Das war bei Thompsons nächstem Epos Habibi, an dem er sechs Jahre gearbeitet hatte und Motive aus Tausendundeiner Nacht und dem Koran mit einer Liebesgeschichte verknüpfte, nicht im selben Maße der Fall.
Zwanzig Jahre nach Blankets beschäftigt sich Thompson in seinem ebenfalls sehr voluminösen Werk Ginsengwurzeln erneut mit seiner Jugend. Hierin ist nicht nur zu erfahren, dass er und Phil noch eine Schwester haben, sondern auch, dass seine Familie in Wisconsin vom Anbau von Ginseng lebte.
Auf über 400 Seiten erzählt der Comic hauptsächlich und in alle nur denkbaren Richtungen wuchernd davon, wie es dazu kam, dass in den ländlichen USA ein Zentrum des Anbaus und Handels mit Ginsengwurzeln entstanden ist. Dies ist zwar nicht uninteressant, doch trotz Thompsons großartig detaillierten und rötlich kolorierten Bilder auf die Dauer etwas ermüdend.
Für die Fans von Blankets lohnt sich die Lektüre von Ginsengwurzeln dennoch, denn immer wieder kehr Thompson in die Welt seines meisterlichen Frühwerks zurück. So ist zu erfahren, dass er und sein Bruder fanatische Comicfans waren und das Zeichnen ihnen die harte Jugend etwas versüßt hat.
Interessant ist auch, wie Thompson von seinen Besuchen bei den Eltern erzählt und gerührt feststellt, dass in deren schwach bestückten Bücherbord auch sein Comic Blankets zu finden ist, obwohl sie darin nicht allzu vorteilhaft porträtiert werden. Zu Herzen gehende Passagen wie diese haben mich bei der Stange gehalten und mehr über Ginseng erfahren lassen, als ich jemals wissen wollte.
Heiner Lünstedt

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Spirou: Der Liliput-Trick

Am 3. Januar 2024 wäre der 1997 verstorbene André Franquin 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erscheinen bei Carlsen einige schöne Jubiläumseditionen mit Werken des belgischen Comickünstlers. Mein persönlicher Höhepunkt war eine Deluxe-Ausgabe des 1965 im Spirou-Magazin veröffentlichten 22-seitigen Comics Die Bravo Brothers, den Franquin selbst für sein bestes Werk hält.

In ähnlicher Aufmachung folgt jetzt eine Deluxe-Edition der ebenfalls recht kurzen Spirou-Geschichte Der Liliput-Trick. Dieser Comic erzählt davon, dass Fantasio anscheinend geschrumpft wurde und erlebte seine Premiere nicht im Magazin Spirou, sondern ab 3. September 1960 in der französischen Zeitung Le Parisien Libéré als schwarzweiße Fortsetzungsserie mit zwanzig wöchentlich veröffentlichten Episoden.
In dieser Form kamen zuvor bereits die Spirou-Geschichten Im Reich der roten Elefanten und Tiefenrausch erstmals zum Abdruck. Bei allen drei Comics hat Franquin die Zeichnungen nicht im Alleingang realisiert, sondern ihm stand der Newcomer Jean Roba zur Seite, der zur selben Zeit auch seine Erfolgsserie Bill & Boule (Schnieff und Schnuff) startete.
Die Deluxe-Edition enthält den Liliput-Trick in drei Versionen. Den Auftakt bildetet die Geschichte in der 28-seitigen vom Michael Hein übersetzten Version mit vier Streifen pro Seite, so wie sie ab August 1962 im Magazin Spirou zum Abdruck kam. Der Band enthält eine etwas größer als in Carlsens Gesamtausgabe reproduzierte Version, die Frédéric Jannin nach den Vorgaben von Franquin neu und etwas dezenter bzw. weniger farbenfroh koloriert hat.
Es folgen vier Beispielseiten, die zeigen wie die Geschichte im Le Parisien Libéré schwarzweiß und mit gelegentlichen Einsatz von Rasterpunkten veröffentlicht wurde. Dabei kamen jeweils sechs Bildstreifen zum Abdruck und die Episoden sind so konzipiert, dass es am Ende jeweils einen kleinen Cliffhanger gibt. Bei der ummontierten Veröffentlichung im Spirou-Magazin befand sich dieser Spannungseffekt häufig in der Seitenmitte.
Der Höhepunkt des Buchs sind die Faksimile-Versionen aller Originalzeichnungen von Der Liliput-Trick. Diese werden fachkundig von Christelle und Bertrand Pissavy-Yvernault kommentiert. Zusätzlich kommen zahlreiche Skizzen und Fotos zum Abdruck, die vermitteln wie Franquin seinerzeit die Zusammenarbeit mit Roba organisierte.
Für Franquin spricht, dass er unter dem letzten Panel der Geschichte den Namen Roba noch vor seinem eigenen nannte. Außerdem hatte er nichts dagegen, dass Roba seine Figuren aus Boule & Bill in Der Liliput-Effekt kurz auftreten ließ.

Heiner Lünstedt

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Michèle Fischels: Outline

Bei manchem Comicschaffenden gibt es einen gewissen Futterneid auf jene Newcomer, die die letzten Semester ihres Studiums dazu nutzen durften, um als Diplomarbeit eine Graphic Novel zu erstellen. Dabei stehen die Studierenden und ihre Be- und Empfindlichkeiten häufig im Zentrum der Erzählungen. Etwas interessanter wird es, wenn der Comic von den Großeltern, Müttern oder Vätern der Kreativkraft handelt.

Auffallend ist außerdem, dass diese Comicdebüts oft auch das einzige Werk des Ex-Studierenden geblieben sind und dennoch keine One-Hit-Wonder waren. Es würde mich wundern, wenn dies auch auf das Comicdebüt von Michèle Fischel zutrifft. Die Absolventin der FH Münster im Bereich Design überrascht mit ihrer Schilderung des letzten Schuljahres von drei AbiturentInnen.
Das letzte Schuljahr vor dem Abitur ist angebrochen. Eine Zeit, in der alles scheinbar wie immer ist, sich aber dennoch laufend ändert. Beim frisch verliebten Ben, der den ausklingenden Sommer mit seiner Freundin Clara genießen möchte, trübt sich die Stimmung zunehmend. Nachdem sich Bens bester Freund Andreas ohne eine Erklärung von ihm abgewendet hat, zieht sich auch Clara immer mehr zurück.
Während sich die Spannungen zwischen Ben und Clara zuspitzen und Andreas mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat, rücken die Abiturprüfungen unweigerlich näher – und mit ihnen der ganze andere Stress: „Was machst du nach der Schule? Wo bewirbst du dich? Schreibst du dich ein? Ziehst du aus?“ Es bleibt kaum Zeit zum Nachdenken und Durchatmen…
Michèle Fischels legt mit Outline ein beeindruckendes Debüt vor. Erzählerisch, aber auch zeichnerisch, zeigt sie ein feines Gespür für jene ganz besondere Phase des Lebens, in der wir Kindheit und Schulzeit hinter uns lassen und mit Vorfreude aber auch Unsicherheit in die Zukunft blicken.

Heiner Lünstedt

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Bat-Man: First Knight

Es ist erstaunlich, dass den Comicschaffenden immer noch neue Ideen und Ansätze einfallen für originelle Geschichten mit omnipräsenten Figuren. In Bat-Man: First Knight geht es ganz weit zurück in die Anfangszeit des Dunklen Ritters. Doch anders als in Christopher Nolans Kino-Update Batman Begins ist dieser Comic sehr nostalgisch aber dennoch frisch und innovativ erzählt.

Die Schöpfer der dreiteiligen Seien sind bereits eine Weile im Geschäft und haben den (Superhelden-) Comic geprägt, wie nur wenige andere Künstler. Der Autor und Zeichner Dan Jurgens ließ Superman 1992 unter großem Getöse sterben und zelebrierte anschließend seine vierfache Wiederauferstehung.
Der Brite Mike Perkins hat an nahezu allen Comicfronten gearbeitet. Bereits Ende der Neunziger begann er für den US-Markt zu arbeiteten und schuf u. a. Crossover-Comics mit populären Charakteren wie Alien, Terminator oder Green Lantern. Bei Marvel war er der Zeichner des gefeierten Comicheftes Astonishing X-Men # 51, in dem es 2012 zur ersten gleichgeschlechtlichen Superhelden-Hochzeit kam. Außerdem setzte er auf mehr als 1.000 Seiten eine Adaption von Stephen Kings voluminösesten (und vielleicht auch besten) Roman The Stand in Szene.
Für das DC Black Label erzählen Jurgens und Perkins von Bat-Man, denn so hieß der Fledermausmann in seinen ersten Comicabenteuern. 1939 hatte er noch keine Bathöhle, keinen Butler und sein erstes Batmobil war ein ganz normaler roter Sportwagen. Der Comic erzählt von rätselhaften und brutalen Morden, für die möglicherweise im Sold von Adolf Hiter stehende deutsche Agenten verantwortlich waren. Daher bietet auch ein Rabbiner dem Dark Knight seine Hilfe an…
Bruce Wayne sieht ein wenig wie Gregory Peck aus und das Artwork lässt an poppig kolorierte Stummfilme denken. Optisch und erzählerisch ist Bat-Man: First Knight ein Hochgenuss und macht sehr gespannt auf die beiden folgenden Bände. Danke an Panini, dass hier Hardcover und Großformat spendiert wurde!
Heiner Lünstedt

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