Die Simpsons: Gelber wird’s nicht

Es bleibt weiterhin erstaunlich. Bereits ein halbes Jahr nach seinem wuchtigen Band Staying West: Comics vom Wilden Westen präsentiert Alexander Braun ein ebenso großartig recherchiertes und opulent bebildertes Fachbuch. Anlass sind der 70. Geburtstag von Matt Groening, das 35-jährige Bestehen der Animationsserie Die Simpsons, sowie eine von Braun kuratierte Ausstellung, die noch bis zum 27. Oktober bei freiem Eintritt im Schauraum Comic & Cartoon in Dortmund zu sehen ist.

Hier vielleicht ein paar persönliche Worte zu den Simpsons: Es gab eine Zeit, da setzte ich alles dran, um im ZDF bloß keine Folge mit der gelben Familie zu versäumen. Wegen der originellen Figuren von Homer oder Bart bestellte Kid Meals bei Burger King, sammelte die Comics und kaufte DVD-Editionen. Mittlerweile gibt es die Serie immer noch, ich habe jedoch irgendwann das Interesse daran verloren , keine Ahnung warum. Vielleicht ist es mit jeder Delikatesse so, dass diese bei regelmäßigen Konsum irgendwann nicht mehr so vortrefflich mundet wie am Anfang.

Auch durch intelligente Bücher wie Subversion zur Prime-Time: Die Simpsons und die Mythen der Gesellschaft konnte ich nicht als Simpsons-Fan revitalisiert werden. Doch dank Alexander Braun wurde mein Leben wieder etwas gelber. Vor dem Verfassen der Rezension habe erst einmal sicherheitshalber die DVD-Box mit der dritten Simpsons-Staffel, da dort die bei Disney+ fehlende Michael-Jackson-Episode Die Geburtstagsüberraschung enthalten ist, die zugleich auch noch Einer flog über das Kuckucksnest parodiert.

Ebenfalls bestellt habe ich das Comicheft Bart Simpsons Horror Show, da dort eine Treehouse-of-Horror-Parodie auf Swamp Thing enthalten ist, die von Len Wein und Bernie Wrightson, den Schöpfern des DC-Sumpfdings stammt. Außerdem amüsierte ich über diverse Vorspann-Sequenzen, für die Künstlern wie Bill Plympton, Guillermo del Toro, der Disney-Animator Eric Goldberg oder Banksy sehr individuell gestalteten Couch-Gags gestaltet haben.

Doch zurück zum Buch. Dieses besticht dadurch, dass Braun sich nicht darauf beschränkt Theorien über die Bedeutung der Serie und der “gelben Philosophen“ aufzustellen. Wichtiger ist es ihm, in Wort und Bild darzustellen, wie die Simpsons entstanden sind und warum sie auch nach mehr als 750 Episoden heute immer noch ein großer Erfolg sind. Das zentrale Thema der Serie ist “Familie“ und Hauptinspiration für Matt Groening war zweifelsohne sein Vater, der passenderweise auch Homer hieß.

Braun zeigt in seinem Buch viele Beispiele für die Kreativität des als Cartoonisten, Werbegrafiker und Filmemacher in Portland tätigen Homer Groening. Ein wichtiges Thema ist aber auch Matt Groenings 1977 gestarteter Comicstrip Life in Hell, dessen Hauptfigur der vom vom Leben überforderte Hase Binky ist. Die in einem lockeren Stil hingehauene Serie fand immer mehr Fans. Darunter befand sich auch der Filmemacher James L. Brooks (Zeit der Zärtlichkeit), dem es gelang die Produzente des neuen TV-Sender FOX davon zu überzeugen, kurze Animations-Sequenzen mit Szenen aus Live in Hell in der Tracey Ullman Show zu platzieren.

Während Groening seinerzeit im Vorzimmer des Büros von Brooks darauf wartete, seine Ideen den FOX –Managern vorzutragen, kamen ihm Zweifel, denn er wollte die Rechte an Life in Hell behalten. In wenigen Minuten entwarf er stattdessen eine Parodie auf perfekte TV-Familien. Aus Zeitmangel benannte er die Familienmitgliedern nach seinen Eltern und Schwestern. Er kam damit durch, und nachdem die kurzen Clips mit der gelben Familie die Ullman-Show bereichert hatten, konnte Brooks für die ersten 13 Episoden einer Simpsons-Serie bei FOX sagenhafte 13 Millionen Dollar locker zu machen.

Braun beschreibt und zeigt detailliert wie die Kommunikation zwischen den Autoren in Los Angeles und den Animatoren in Taiwan abläuft, wie die Drehbücher immer mehr verfeinert werden und wie fertig animierte Sequenzen aus Fernost noch einmal neu gedreht werden müssen, sofern sie nicht funktionieren. Zum Abdruck kommt ein kompletter Style Guide, der das Erscheinungsbild der Figuren bis ins Detail festlegt.

Ein großes Thema sind auch die Simpsons-Comichefte, die sich in Deutschland zeitweise größerer Beliebtheit als in den USA erfreuten. Das Buch enthält ein ausführliches Interview mit Bill Morrison, der nicht nur für die Comics zuständig war, sondern auch “Matt Groenings wichtigster Mann für Simpsons-Illustrationen jenseits der TV-Serie“ ist. Passend dazu kommen Abbildungen von Merchandise-Artikeln wie Adidas-Turnschuhe, bemooste Terrakotta-Tonköpfe von Homer oder auch ohne Lizenz in Handarbeit produzierte Simpsons-Figuren aus Mexiko mit Stars-Wars-Thematik.

Doch das ist noch lange nicht alles. Wir erfahren außerdem noch Details über die Zusammenarbeiten mit Michael Jackson und Banksy, über ein in der Nähe von Las Vegas in Originalgröße errichtetes Simpsons-Haus, sowie über eine 2021 exklusiv für die Pariser Modenschau von Balenciaga produzierte zehnminütige Episode.

Gelber kann es wirklich nicht mehr werden.

Heiner Lünstedt

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Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Erst 1977 kamen die Comics von Will Eisner nach Deutschland. Ein großformatiges Album des Nelson Verlags enthielt eine recht ansprechend zusammengestellte Auswahl von Geschichten mit dem maskierten Privatdetektiv Denny Colt alias The Spirit, weitere Ausgaben blieben mangels Erfolgs jedoch aus.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Zeitnah zur US-Veröffentlichung und schön aufgemacht als Hardcover-Band brachte Zweitausendundeins 1980 Eisners erste Graphic Novel Ein Vertrag mit Gott heraus. Ein Jahr später startete Carlsen eine gebundene Edition mit ausgewählten Spirit-Geschichten und ab 2001 erschienen beim Salleck Verlag 24 Bände der Reihe The Spirit Archive.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Auch sehr viele von Eisners Graphic Novels haben deutsche Verleger gefunden und 2005 widmete die Reihe F. A. Z. – Klassiker der Comic-Literatur Will Eisner sogar einen ihrer 20 Bände.

F. A. Z. - Klassiker der Comic-Literatur

Die meisten deutschen Editionen enthalten fundierte Vor- und Nachworte.Hinzu kommen zahlreiche Artikel in der Comic-Fachpresse, inklusive einer Eisner-Ausgabe des Fachmagazins Reddition.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Es scheint so, als wenn mittlerweile auch hierzulande fast alles von und über den 2005 verstorbenen Comic-Großmeister veröffentlicht wurde.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Dass dem keineswegs so ist, belegt ein reich bebilderter Band, in dem sich Alexander Braun genauso ausführlich, fundiert und mitreißend mit Will Eisner beschäftigt, wie zuvor in seinen Werken über Winsor McCays Little Nemo und George Herrimans Krazy Cat. Das großformatige gebundene Buch Will Eisner – Graphic Novel Godfather ist zudem noch der Katalog zu einer Ausstellung, die u. a. anlässlich des Comic-Salons 2022 im Kunstmuseum Erlangen zu sehen war.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Daher sind zahlreiche bestens reproduzierte und ausführlich kommentierte Originale von Eisners Comicseiten enthalten. Diese sind Teil eines spannenden Exkurses durch Leben und Werk des Comickünstlers. Braun vermittelt Einblicke in die auch heute noch erstaunlich innovativen Erzähltechniken und zeigt auf, wo Elemente aus Eisners Biografie in die Geschichten eingeflossen sind.

In chronologischer Reihenfolge beschäftigt sich das Buch mit den verschiedenen Schaffensphasen. Braun schildert wie The Spirit entstanden ist, wie Eisner die Arbeit an der Serie 1942 unterbrach, weil er eingezogen wurde. Doch auch als Soldat arbeitete er weiter daran, die Möglichkeiten des Medium Comics zu erforschen. Das Resultat waren gezeichnete Ratgeber, in denen Eisner mit Humor – aber auch sehr eindringlich – dazu aufforderte, sorgfältig mit der militärischen Ausrüstung umzugehen, denn Nachlässigkeit kann tödlich sein.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Eisner kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zum Spirit zurück, aber auch wieder zu den militärischen Ratgebern. Beflügelt von den Underground-Comix folgten freizügigere Spirit-Geschichten und schließlich die Graphic Novels. In den letzten Kapiteln seines Buchs widmet sich Alexander Braun unter dem Motto “Tenement-Fieber: Leben im Mietshaus“ mit einem Leitmotiv im Werk von Eisner (siehe New York – Großstadtgeschichten) oder und mit den “jüdischen Aspekten“, denn in den Spätwerken Fagin the Jew und Das Komplott: Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion wurde Antisemitismus besonders stark thematisiert.

Will Eisner: Ich bin Fagin

Großartig ist auch das letzte Kapitel. Braun präsentiert hier aussagekräftige Auszüge aus seinen Gesprächen mit Denis Kitchen, dem “Verleger und Freund“ von Will Eisner. Sehr lebendig kommt hier der Mensch hinter den Comics zum Vorschein.

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Braun gelang ein großartiges Buch, dessen Lektüre ich immer wieder unterbrechen musste, um zum Bücherregal zu eilen, um die von Braun hervorgehobenem Spirit-Geschichten oder besonders gelungene Passagen aus den Graphic Novels zu lesen. Im Rahmen des Comicfestival München 2021 hat Alexander Braun die PENG!-Preise in den Rubriken BESTE EDITION EINES KLASSIKERS und BESTE SEKUNDÄRLITERATUR erhalten.

Heiner Lünstedt

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