Valhardi

Dieser (ge)wichtige Band enthält als deutsche Premiere ein entscheidendes Kapitel der frankobelgischen Comicgeschichte. Bei uns erschienen einige Comics mit dem furchtlosen blonden Versicherungsdetektiv Jean Valhardi, dessen Markenzeichen seine Kinnhaken sind. Bei Kauka trat er als Kouki auf Carlsen veröffentlichte ab 1985 die fünfzehnbändige Reihe Valhardi & Co, Abenteurer.

Doch erst jetzt, nach über 80 Jahren, erscheinen endlich jene Comicseiten, die maßgeblich dazu beitrugen, dass sich in Belgien eine lebendige und vielfältige Comicszene entwickelte, jenseits von US-Importen, aber auch als lässige Alternative zu Hergés Tim und Struppi.

Jean Valhardi détective startete am 2. Oktober im Comicmagazin Spirou mit wöchentlich einer Comicseite und war fast vom Start weg beliebter als die Titelfigur im Pagenkostüm. Dies lag sowohl an der spannenden Story des Spirou-Herausgebers Jean Doisyder voller Cliffhanger, die an frühe Hitchcock-Filme wie Die 39 Stufen erinnert, als auch an den Zeichnungen von Joseph Gillain alias Jijé (Jerry Spring).

Jijés Bildern ist durchaus die Eile anzumerken, mit denen diese zu Papier gebracht wurden. Doch wie die hier abgebildeten ersten fünf Seiten von Valhardi belegen, zwingt die rasante in Szene gesetzte Geschichte dem Betrachter auch heute noch ein Lesetempo auf, das nicht zum Verweilen auf Einzelpanels einlädt, sondern wie ein actionreicher Manga zum Umblättern zwingt.

Die Schnelligkeit mit der Jijés arbeitete, hatte aber auch noch einen anderen Grund, der im hochinteressanten Vorwort dieses Buchs zu erfahren ist. Das erste Valhardi-Abenteuer erschien im besetzten Belgien und die Deutschen wollten das schwer zu kontrollierende Spirou-Magazin einstellen. Nicht ohne Grund wurden Kontakte zur Résistance vermutet.

Doch ein stärker mit den Comics als mit den Nazis liebäugelnder deutscher Offizier verschaffte Spirou noch etwas Schonzeit. Er erlaubte, dass noch so lange gedruckt werden durfte, wie bereits fertig produziertes Material vorlag. Daher arbeitete Jijé klammheimlich gleich an mehreren Serien, wie etwa auch an Spirou. Er sorgte dafür, dass der Nachschub nicht ausblieb und das erste Valhardi-Abenteuer erst nach 100 Seiten am 2. September 1943 ein glückliches Ende fand. Dies traf leider nicht auf das Spirou-Magazin zu, das am selben Tag eingestellt wurde.

Doch Mord am Seeufer, ein weiterer Valhardi-Comic, konnte während der Besatzungszeit noch in Spirou-Anthologien veröffentlicht werden, bevor es mit der Serie nach dem Krieg weiterging. Teilweise übernahmen jetzt andere Autoren wie Jean-Michel Charlier (Blueberry) oder neue Zeichnern wie Eddy Paape (Luc Orient). Der Stefan Riedl Verlag veröffentlicht in einer sechsbändigen Gesamtausgabe alle bis 1984 erschienenen Valhardi-Abenteuer und somit auch die gloriose Rückkehr von Jijés zu seinem Comicklassiker.

Heiner Lünstedt

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Jan Bazuin – Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Erst nach dem Tode des Niederländers Jan Bazuin entdeckte sein Sohn Leon ein aus drei Heften bestehendes Tagebuch. Sein Vater hatte mit ihm nie über jene Zeit gesprochen, als er Ende des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach München deportiert wurde. Das dortige NS Dokumentationszentrum fertigte nicht nur eine deutsche Übersetzung an, sondern erarbeitete auch eine Veröffentlichung des Tagebuchs, die von der Comiczeichnerin Barbara Yelin (Gift, Irmina) illustriert wurde.

Der 19-jährige Jan Bazuin begann sein Tagebuch am 20. November 1944 mit dem Satz: “Heute kaum etwas Besonders“ Er beschreibt sein Leben im besetzten Rotterdam. Die Bewohner leiden unter Bombenangriffen, sowie der Knappheit von Nahrungsmittel und Heizmaterial. Bazuin kommt zudem kaum noch mit seinem Vater klar. Ein Lichtblick ist das Verhältnis zu einer Frau, die er zunächst als “Bekannte“ bezeichnet und die schließlich zu Bazuins Freundin Annie wird.

Seine Tagebucheinträge sind sehr sachlich gehalten und scheinbar frei von Sentimentalitäten. Gelegentlich blitzt ein sarkastischer Humor aber auch Optimismus auf. Bazuins Schreibstil erweckt rasch Sympathien für den jungen Mann, der versucht das Beste aus seiner Lage zu machen. Doch diese wird keineswegs besser. Auch weil sein Vater ihn nicht mehr in der Wohnung haben will, wird Bazuin im Januar 1945 zusammen mit 50 Landsleuten in einen Güterwagen gesperrt.

Nach einer 75-stündigen Bahnfahrt, die er fast ohne Nahrungsmittel und Wasser ertragen muss, kommt er schließlich in Dachau an. Er musste Zwangsarbeit im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing verrichten (das sich direkt vor meiner Haustür befand). Jan Bazuins letzter Tagebucheintrag stammt vom 27. April 1945, und danach versuchte er die Deportation zu vergessen, auch weil manche Niederländern Zwangsarbeiter verdächtigten, freiwillig für die Deutschen gearbeitet zu haben.

Jan Bazuins Tagebuch ist ein wichtiges Zeitdokument, dass die Auswirkungen von Krieg und Diktatur auf Zivilisten hautnah miterleben lässt. Für diese Edition, die keinen Leser kalt lassen wird, sprechen auch die einfühlsamen Bilder von Barbara Yelin, die das Tagebuch nicht nur illustrierte, sondern teilweise auch durch Sprechblasentexte ergänzte.

Heiner Lünstedt

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Walter Neugebauer: Winnetou II – III

In diesem Band findet die ab 1963 in Rolf Kaukas Fix und Foxi veröffentlichte Comic-Version von Karl Mays Winnetou–Trilogie, die Walter Neugebauer (Tom & Biber) zeichnete, ihren Abschluss. Leider war es diesmal nicht möglich, für den Buchrücken jenen grünen Leinenstoff mit Goldprägung zu verwenden, der bei der Veröffentlichung der Karl Mays Romane zum Einsatz kam. Die Firma, die das “Karl-May-Leinen“ produzierte, war Pleite gegangen und ein Ersatzstoff musste her.

Doch wer dies nicht weißt, wird keinen Unterschied feststellen, zumal inhaltlich wieder dieselbe Qualität geboten wird. Neben Walter Neugebauers 180 Seiten aus Fix und Foxi, die sorgfältig digital auf Vordermann gebracht wurden, sind es wieder die interessanten Hintergrundinformationen von Gerhard Förster (Die Sprechblase), die diesen Band zu einer spannenden Lektüre für alle Freunde von klassischen Comics machen.

Im Schatten der Debatte um den angeblich rassistischen Kinderfilm Der junge Häuptling Winnetou stellt Förster den manchmal ganz schön deutschnational fabulierenden Karl May als Kind seiner Zeit dar. Er diagnostiziert, dass der Autor “im Vergleich zu seinen Zeitgenossen sogar sehr aufgeschlossen“ war, vergisst aber nicht zu erwähnen, dass Karl May in seinen Romanen “mit den Schwarzen weniger respektvoll“ als mit den Indianern umging.

Genau wie der erste Band enthält auch dieses Buch eine weitere Winnetou-Version von Walter Neugebauer. Als Siebzehnjähriger brachte dieser In seiner Heimat Jugoslawien bereits 1938 eine Adaption von Winnetou II zu Papier, die dort im Comicmagazin Veseli vandrokaš zum Abdruck kam. Leider konnte Neugebauer die Geschichte nicht zu Ende erzählen, da die Zeitschrift eingestellt wurde.

Um an diese Comicseiten zu gelangen, reiste Gerhard Förster nach Zagreb. In diesem Buch kann er zudem auch noch einige Seiten präsentieren, mit denen Neugebauer 1963 versuchte, seine 38er-Version zu Ende zu bringen, bevor ihn Rolf Kauka dies untersagte, da er weiter am Fix-und-Foxi-Winnetou arbeiten musste. Recht bald möchte Förster in Band 3 Neugebauers Version von Karl Mays Old Surehand I veröffentlichen. Ich freue mich darauf!

Heiner Lünstedt

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Rolf Kauka: Tom und Klein-Biberherz

Ingraban Ewald veröffentlichte bereits eine sehr schöne Edition eines auf Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel basierenden Abenteuer von Rolf Kaukas jungen Raumfahrers Mischa. Danach widmete sich Ewald einer weiteren beliebten Serie aus Fix und Foxi.

Der in Jugoslawien geborene Zeichner Walter Neugebauer war schon immer ein großer Western-Fan und veröffentlichte bereits 1937 in seiner Heimat eine Comic-Adaption von Winnetou. Diese Fassung und Neugebauers ab 1963 für Rolf Kauka gezeichneten Karl-May-Comics erscheinen bei bsv als schön aufgemachte dreibändige Edition, die auch durch die interessanten redaktionellen Beiträge von Gerhard Förster (Die Sprechblase) überzeugt.

Doch auch Ingraban Ewald hat sich bei seinem zweiten Kauka-Band sehr viel Mühe gegeben. Enthalten sind Geschichten mit dem von Walter Neugebauer geschaffenen Duo Tom und Klein-Biberherz, das ab 1957 regelmäßig in Fix und Foxi seine Abenteuer erlebte. Neugebauer brachte die Figuren, in einem schönen Funny-Stil zu Papier. Ihm wurde sogar die Ehre zuteil beim ersten Auftritt von Tom und Klein-Biberherz namentlich gleichberechtigt unter Rolf Kauka genannt zu werden.

Ingraban Ewalds Band enthält eine von Hilmar Kalaba kolorierte Geschichte mit Tom & Biber, die ab 1964 in vier Fix-und-Foxi-Heften in Schwarzweiß auf blauem Papier zum Abdruck kam. Die entsprechenden Seiten konnten herausgetrennt werden und zu einem “Lies- und Lachbuch“ zusammengebastelt werden.

Die Story der Geschichte stammt von Neugebauers Bruder Norbert, der sich hierbei an zwei seiner frühen Comics mit Tom & Biber von 1958 orientierte. Diese kommen ebenfalls in diesem Band zum Abdruck, allerdings in der Originalversion aus Fix und Foxi. Hilmar Kalaba meint dazu: “Im Original waren viele dieser Seiten nicht farbig! Die FF-Hefte waren damals (aus Kostengründe) noch alternierend bunt und einfarbig. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass z. B. in Dänemark diese Seiten in Farbe gedruckt worden waren. Wir hatten uns aber entschlossen, die Originalität der deutschen Hefte beizubehalten. Das war keinesfalls Bequemlichkeit, denn diese Graustufenseiten waren wesentlich aufwändiger in der Scanbearbeitung, als die bunten – schließlich wollte ich den leicht grüngrauen Schimmer möglichst „faksimile“ widergeben. Hat doch auch seinen Reiz, oder?“

Dies kann nur bejaht werden und es darf sich auf weitere ähnlich schöne Editionen mit Kauka-Comics gefreut werden.

Heiner Lünstedt

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Peter Puck: Rudi

Wer eine Seite von Rudi betrachtet, dem wird sofort klar, dass es sich bei Peter Puck um einen Wahnsinnigen handelt. Seine prall gefüllten (aber gerade deswegen unbedingt lesenswerten) Sprechblasen werden optimal durch unglaublich detailverliebte Zeichnungen ergänzt. Wenn sich so viel Fleiß auch noch in so brüllend komischen Humor niederschlägt, dann ist es besonders bedauerlich, dass seit 2006 keine neuen Comics mit Rudi und Freddy erschienen sind.

Doch immerhin liegt jetzt eine “fette & komplette“ Gesamtausgabe vor, die neben den farbigen Nachdrucken sämtlicher sieben Rudi-Alben auch noch einiges bisher unveröffentlichtes Material enthält. Zum Abschluss des dicken 370-seitigen Buchs gibt es etwa eine neue Geschichte, in der Rudi und Freddy versuchen einen Ersatz-Zeichner für die “verfluchte Drecksau“ Peter Puck zu finden, der “keinen Bock mehr“ hat.

Innerhalb dieser Story namens Abenteuer auf der Meta-Ebene sind einzelne teilweise atemberaubend schöne Rudi-Panels zu bestaunen, die z. B. von Thomas von Kummant (Gung Ho), Ralph Ruthe, Sascha Wüstefeld (Das UpGrade), Ralf König (Der bewegte Mann), Hendrik Dorgathen oder Timo Wuerz (Aaron und Baruch) stammen. Doch Rudi und Freddy sind nicht zufrieden mit den Alternativen und stellen abschließend fest, dass sie keinen Zeichner aber auch keine Leser brauchen und lösen sich in Wohlgefallen auf.

Doch zuvor kann die ganze Erfolgsgeschichte um Peter Puck und Rudi noch einmal von Anfang an verfolgt werden. Im Mai 1985 erschien im Stadtmagazin Stuttgart Live die einseitige Story Der Bunker, in der sich Rudi und Freddy versehentlich eine Neo-Nazi-Kneipe verirren und gleich verprügelt werden. Wären sie doch nur in ihrer Szene-Stammkneipe geblieben, denn dort hat in ihrer Abwesenheit natürlich eine “rattenscharfe Blondine“ nach ihnen gefragt. Dieser erste Comic definiert gleich den Tonfall der weiteren Geschichten um zwei ewig unzufriedene Szene-Gänger, die immer wieder finstere Abwege betreten und zielsicher auf die nächste Katastrophe zugehen. Beim Lesen der Geschichten ist festzustellen, wie schnell Peter Puck seinen Zeichenstil perfektionierte und auch wie nah am Original er die Comicfiguren von meisterlichen Kollegen wie Albert Uderzo, Morris, Franquin oder Peyo zu Papier bringen kann.

So schön diese “fette & komplette“ Gesamtausgabe auch ist, sie macht dennoch traurig darüber, dass Rudi und Freddy nicht mehr – stellvertretend für die Leser – unter den härtesten Bedingungen die neusten Szene-Trends testen und lächerlich machen.

Heiner Lünstedt

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Seltsam & Fesselnd – Das Werk des Denis Kitchen

Ein wahres Wunderwerk hat U-Comix-Chef Steff Murschetz herausgebracht. Es wäre schon großartig gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, eine deutsche Übersetzung des 2010 beim US-Verlag Dark Horse erschienenen Buchs The Oddly Compelling Art of Denis Kitchen herauszubringen. Doch Murschetz ließ den Übersetzer Christof Bango das Buch sogar noch bis in die Gegenwart fortschreiben.

Seltsam & Fesselnd – Das Werk des Denis Kitchen

Das erste Viertel des Softcover-Bandes bietet einen Einblick in Leben und Werken von Denis Kitchen. Dieser war seit frühster Jugend nicht nur ein manischer Zeichner, sondern auch immer daran interessiert seine Bildergeschichten gegen Bezahlung an den Leser zu bringen. Daher war es kein Wunder, dass er schließlich nicht nur zum Freund, sondern auch zum Verleger von Comic-Legenden wie Robert Crumb, Will Eisner und Harvey Kurtzman wurde. Diese Tätigkeit ging jedoch zu Lasten von Kitchens Output als Zeichner.

Seltsam & Fesselnd – Das Werk des Denis KitchenDas Kitchen auch ein versierter, ständig besser werdender Zeichner und ein scharfer Beobachter der gesellschaftlichen Verhältnisse ist, beweisen die zahlreichen in diesem Buch abgedruckten Comics. Lobend ist hierbei zu erwähnen, dass diese Geschichten von Denis Kitchen persönlich kommentiert und ebenfalls von Christof Bango in Deutsche übersetzt wurden.

Ralf König: ABBA HALLO!

Als ABBA Ende 2021 nach einer Pause von vierzigJahren ein neues Album herausbrachte, wollte Ralf König diesem Anlass einige wenige Comicstrips widmen. Doch jetzt liegt ein knapp 200-seitiges Buch mit dem schönen Titel ABBA HALLO! vor.

Königs online gestellte Abba-Strips mit seinen beliebten Figuren Konrad und Paul sorgten für ein heftiges Rauschen im Facebook- und Instagram-Wald. Dieses setzte “sofort eine Dynamik in Gang, die mich selbst immer wieder überrumpelt.“

Ähnlich wie zuvor seine gesammelt unter dem Titel Vervirte Zeiten veröffentlichten Vier-Bilder-Strips wird auch hier das Tagesgeschehen kommentiert.

Anfangs befinden sich Konrad, Paul und ihre mit allerlei skurrilen Charakteren bevölkerte Blase zunächst noch mitten in der Corona-Krise, bevor am Ende von ABBA HALLO! der russische Überfall auf die Ukraine thematisiert wird. Dies geschah allerdings mit einiger Verspätung. König erzählte Anfang 2022 von einer Geburtstagsparty, zu der wegen Corona zunächst keiner hingehen wollte, die aber dann doch noch ein rauschendes Fest wurde.

Da König seine Leser an dieser von ihm schon lange vorbereiteten Feier in etlichen täglich online gestellten Comic-Strips teilhaben ließ, kam er erst verspätete dazu, den Angriffskrieg auf die Ukraine zu thematisieren: “Das war auch für mich etwas spooky. Andererseits versicherten mir die Leser und Leserinnen in den Kommentarleisten, dass sie froh sind, morgens bei Konrad und Paul mal kurz abgelenkt zu werden von den düsteren Entwicklungen da draußen.“

Zentrales Thema des Comics sind jedoch weder Corona, noch der Ukraine-Krieg und auch nicht ABBA. Einmal mehr geht es um die Beziehungen zwischen Konrad und Paul, die immer wieder auf dem Prüfstand steht. In Verwirte Zeiten hechelte Paul dem “atemberaubend erotischen“ REWE-Filialleiter Bastian Knaller hinterher. Jetzt ist es ein behaarter Kerl, der nur schmusen will und dem nicht eben hünenhaften Paul auch noch dazu bringt in ein Bärchen-Kostüm zu schlüpfen…

Heiner Lünstedt

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Oliver & Columbine

Eigentlich befinden sich Oliver und Herr Prudenz, die in einen Notariatsbüro arbeiten, auf einer unspektakulären Dienstreise. Sie sollen im Örtchen Einsiedel ein paar Dokumente abgeben. Doch dann steigen sie in eine seltsame Straßenbahn, und ab geht es in die märchenhafte Welt von Schauimtraum.

Bereits in der Straßenbahn lernt Oliver die reizende Columbine kennen und wird danach zusammen mit ihr immer wieder ein von Fabelwesen bevölkertes Land vor Bedrohungen schützen. In ihrem ersten Abenteuer bekommen es das Pärchen mit dem heimtückischen Riesenvogel Ratzekahl zu tun, der mit seinem an einen Staubsauger erinnernden Schnabel bereits einem Großteil der Einwohner von Schauimtraum den Schädel kahl rasiert hat…

Das klingt eigentlich ganz schön blödsinnig, doch wer sich auf Oliver & Columbine einlässt, wird viel Spaß haben. Die an klassische Disney-Animationsfilme, aber auch an The Wizard of Oz oder Little Nemo, erinnernden Zeichnungen von Daniel Henrotin alias Dany (Ludivine, Die Kriegerinnen von Troy) sind wunderschön und die Hauptfiguren, trotz ihrer zuckersüßen Art, ganz große Sympathieträger.

Die Geschichten stammen von Michel Louis Albert Régnier alias Greg, der ab 1965 Chefredakteur des hauptsächlich Abenteuergeschichten enthaltenen Comicmagazins Tintin war. Inspiriert von einer Straßenbahnfahrt durch die belgische Landschaft schuf er als Gegengewicht zu Dan Cooper, Michel Vaillant oder Andy Morgan die fabelhafte Welt von Oliver & Columbine. Gleich nach der Veröffentlichung des ersten Abenteuers Die wunderbare Odyssee wurde Olivier Rameau, so der Originaltitel, von den Tintin-Lesern 1969 zur viertbeliebtesten Serie des Magazins gewählt.

Die deutschen Leser lernten den Comic mit reichlich Verspätung kennen. 1981 gab es unter dem Titel Oliver Ohnefehl ein einmaliges Gastspiel in einem Sonderheft der Rätselmagazins Rate Mal. Erst in diesem Jahrtausend wurden weitere Bände von Oliver & Columbine veröffentlicht und endlich erscheint beim Stefan Riedl Verlag eine optimal aufgemachte vierbändige Gesamtausgabe.

Bemerkenswert ist, dass das erste Album Die wunderbare Odyssee von der legendären Asterix-Übersetzerin Gudrun Penndorf ins Deutsche übertragen wurde. Bei ihr heißt der Bahnhofsvorsteher Traugott Triller, der Straßenbahnschaffner Lukas Lochzang, der Zwerg mit der Schubkarre Kolossal und die garstigen Trolle sind die Wirrware. Diese belgische Serie hätte auch bei uns zum Klassiker werden kommen, doch dazu kam sie leider viel zu spät zum Abdruck, doch besser spät als nie.

Heiner Lünstedt

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Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Die Geschichte beginnt in einem sonnenleuchtenden italienischen Städtchen – als Inspiration diente dem Comiczeichner Manuele Fior sein in der Nähe der Adria gelegener Heimatort Cesena. Erzählt wird vom jungen, noch unerfahrenen Piero, dem sofort klar ist, dass das neue Nachbarmädchen Lucia für ihn die Richtige ist. Dies wird skeptisch beäugt von Pieros Kumpel, dem Frauenhelden Nicola, der völlig zu Recht befürchtet, seinen besten Freund an Lucia zu verlieren.

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Das eigentliche Zusammenkommen der Liebenden zeigt der Comic nicht, zu sehen gibt es trotzdem einiges. Mit locker in flüssiger Acrylmaltechnik zu Papier gebrachten Bildern fängt Fior die Atmosphäre der Handlungsorte ein, zugleich aber auch die Seelenzustände seiner Figuren. Nach dem sonnigen Auftakt in Italien wechselt er abrupt das Farbspektrum und verlegt die Handlung in ein frostig düsteres Norwegen. Hier beendet eine deutlich gereifte Lucia eher beiläufig ihre Beziehung zu Piero und wendet sich einem anderen Mann zu.

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Doch schon bald kehrt sie schwanger allein zurück in ihre italienische Heimat, während es Piero in die Fremde zieht. Trotz der räumlichen Distanz stehen die beiden sich in Gedanken weiterhin sehr nahe. In Ägypten – Fiors Bilder lassen spüren, dass es dort auch in der Nacht noch drückend heiß ist – erhält Piero unerwartet einen Anruf von Lucia. Trotz langer Sendepause herrscht sofort wieder eine große Vertrautheit, und Piero stellt fest, dass es bei ihrem Gespräch trotz einer Entfernung von 5000 Kilometer nur eine Zeitverzögerung von einer Sekunde gibt…

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Die Frage ob Fünftausend Kilometer in der Sekunde auch autobiographische Elemente enthält, beantwortete Fior wie folgt: “Nicht wirklich, die Orte sind jene, die ich wirklich kennengelernt habe, weil ich dort gearbeitet habe. Doch die Geschichte ist wohl erfunden.“ Bevor Fior sich in Paris niederließ, zog es ihn unter anderem nach Venedig, Oslo und auch nach Berlin, wo 2004 sein erster längerer Comic Menschen am Sonntag entstand.

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

In teilweise meisterlicher schwarzweißer Grafik erzählte Fior davon, wie schwierig es ist, eine neu gefundene Heimat zu verlassen. Im Anschluss daran versuchte er in Ikarus, griechische Mythologie mit Motiven aus Goethes Faust zu remixen. Sehr viel interessanter ist seine danach entstandene Adaption von Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else, die er in stimmungsvollen Aquarellbildern und garniert mit Klimt-Zitaten in Szene setzte  und 2012 auch als Hardcoverband in der Reihe Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels erschienen ist.

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Fiors Fünftausend Kilometer in der Sekunde wurde 2001 auf dem Comic Festival in Angoulême zum besten Album gekürt – aus gutem Grund. Der Comic überzeugt durch die schlichte Schönheit der einzelnen Panels, aber auch durch die Art, wie Fior seine Geschichte erzählt – was vor allem heißt, wie geschickt er manches, wie die Begegnung der Liebenden, einfach auslässt. Dem Prinzip, nicht alles erzählen und zeigen zu müssen, folgen auch seine Bilder.

Manuele Fior: Fünftausend Kilometer in der Sekunde

Die Kapitel beginnt Fior mit Abbildungen einer stetig zunehmenden Anzahl von Regentropfen, am Ende kommt dann der große Wolkenbruch. Da treffen dann Piero und Lucia, deutlich gealtert, in Italien wieder aufeinander, aber auch Jugendfreund Nicola spielt eine nicht unwichtige Rolle. Von der sonnigen Stimmung des Anfangs ist allerdings nichts mehr zu spüren. Das Wetter ist verhagelt und trübe wie die Stimmung des einstigen Liebespaares. Ein Unhappy-End – doch vermittelt Fior, dass für ein erfülltes Leben auch gescheiterte Liebesbeziehungen wichtig sind.

Heiner Lünstedt

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Garth Ennis: Punisher Collection 3

Der dritte Band dieser Collection startet mit sechs Storylines, die Garth Ennis zwischen 2006 und 2008 geschrieben hat. In jeweils sechs oder sieben Heften wurden diese beim Marvel-Erwachsenenlabel MAX veröffentlicht. Die Geschichten sind in sich abgeschlossen, bauen aber aufeinander auf. Das Tüpfelchen auf dem i sind auch diesmal Tim Bradstreets detailverliebte, oft recht waffenfetischistische Cover, die stark an Filmposter erinnern.

Die schlechte Nachricht gleich zuerst: Die zweite Story Mann aus Stein ist ziemlicher Müll. Garth Ennis ließ hier seiner Miniserie Mütterchen Russland eine ziemlich einfallslose Fortsetzung folgen. Noch schlimmer sind die unbeholfen wirkenden Zeichnungen von Leonardo Fernandez, der – ganz im Gegensatz zu seiner guten Graphik bei Ennis‘ meisterlicher Miniserie Die Sklavenhändler – diesmal sehr detailarm arbeitete und Frank Castle nur sehr selten gut erkennbar zu Papier bringt.

Sehr viel besser funktioniert die nächste Geschichte, die davon erzählt, wie der Punisher beim Kampf gegen skrupellose Wirtschaftskriminelle auf den völlig durchgeknallten Auftragskiller Barracuda trifft. Dieser ständig fluchende Koloss von einem Kerl, den Ennis hier in das Marvel-Universum einführt, steht in der Tradition von nahezu unzerstörbaren Punisher-Gegnern wie Ma Gnucci oder dem Russen. Auch die blutrünstige Geschichte lässt an Ennis’ Fun-Splatter-Anfänge als Punisher-Autor denken. Passend dazu erinnern die sehr realistischen, aber gelegentlich auch leicht karikierenden Zeichnungen von Goran Parlov an Steve Dillons schnörkellosen Stil.

Die nächste Geschichte wurde von Lan Medina ebenfalls sehr souverän zu Papier gebracht. Witwenmacher hat einen sehr viel bitteren Unterton. Hier wollen sich fünf Frauen, deren Mobster-Ehemänner von Frank Castle umgebracht wurden, am Punisher rächen und stellen sich dabei gar nicht so ungeschickt an.

Zentrale Figur ist jedoch Jennifer, die Schwester einer der Witwen. Sie ist dem Punisher dankbar dafür ist, dass dieser ihren sadistischen Mafia-Ehemann ermordet hat und (Vorsicht, Spoiler!) schlüpft sogar in dessen Kostüm mit dem Totenkopf. Die teilweise sehr sensibel erzählte Geschichte mündet in ein ebenso blutiges wie tragisches Finale.

Danach hat sich Garth Ennis wieder dem nicht tot zu kriegenden Barracuda gewidmet, doch der Punisher taucht gar nicht auf. Am Ende einer satirisch angehauchten, in karibischer Umgebung spielenden Geschichte wird jedoch klar, dass Barracuda noch ein Hühnchen mit dem Punisher zu rupfen hat. Zuvor gibt es viel blutrotem Slapstick und Goran Parlovs Zeichnungen sind am Rande der Karikatur angesiedelt. So trägt etwa ein Gangsterboss unverkennbar die Gesichtszüge von Christopher Walken, während dessen seltsam deformierter Sohn, so wirkt als wäre aus einem Looney-Tunes-Cartoon entsprungen.

Ein deutlich ernsthafterer Grundton herrscht danach in der ebenfalls von Ennis und Parlov stammenden Storyline Die lange, kalte Nacht, obwohl hier wieder Barracuda eine zentrale Rolle spielt. Gleich das erste Kapitel endet mit einem als Schlusspointe daherkommenden Cliffhanger, der wirklich völlig überrascht und hier nicht verraten werden soll. Einmal mehr gilt: Völlig krankes Zeug, das schwer zu Herzen geht.

Mit der ebenfalls von Parlov gezeichneten Geschichte Valley Forge, Valley Forge verabschiedet sich Ennis erst einmal vom Punisher. Einmal mehr erzählt er hier eine War Story. Es geht um acht in kriminelle Angelegenheiten verwickelte US-Generäle, die nicht zu Unrecht vermuten, dass der ansonsten nicht eben zimperliche Punisher Probleme damit haben wird, US-Soldaten zu töten.

Mit schmutzigen Tricks gelingt es den Offizieren eine Delta-Force-Spezialeinheit nach New York zu schicken, wo sie Castle zur Strecke bringen sollen. Doch ganz so einfach ist das natürlich nicht, und der an Morgan Freeman erinnernde Colonel Howe ist als Chef der Spezialeinheit auch nicht so einfach zu steuern wie erwartet. Valley Force, Valley Force überrascht auch dadurch, dass Ennis in die Handlung scheinbar wahllos Auszüge eines fiktiven biografischen Vietnam-Berichts, sowie von Goran Parlov sehr stimmig gezeichnete “Fotodokumente“, einfließen lässt. Dies verleiht der Geschichte zusätzliche Tiefe.

Zum Abschluss präsentiert dieser Band drei kürzere Stories, die vor Valley Force, Valley Force entstanden sind. Etwas ganz Besonderes ist die 2006 entstandene Geschichte Tiger, Tiger von 2006. Der in den 50er-Jahren für MAD und die EC-Comics tätige John Serverin setzte den 49-seitigen Comic in einem nostalgische Gefühle weckenden Retro-Stil in Szene. Dies passt sehr gut, da Ennis eine 1960 spielende Episode erzählt. Lange bevor er die Hölle des Vietnamkriegs kennenlernte, erlebte der zehnjährige Frank Castle bereits schreckliche Dinge.

Das Viertel in Brooklyn, in dem der sich stark für Poesie interessierende Junge aufwächst, wird von einem Mafiaclan terrorisiert. Besonders schlimm treibt es Vincent Rosa, der jüngste Sohn des Paten, der etlichen minderjährigen Mädchen den Kopf verdreht und sich rücksichtslos an ihnen vergeht. Dies führt zu Schwangerschaften und Selbstmorden. Auch Lauren, ein Mädchen, das Frank sehr viel bedeutet, bringt sich um. Eines Abends, als seine Eltern schon schlafen, greift Frank heimlich zur gut versteckten Dienstpistole, die sein Vater aus den Weltkrieg mitbrachte, und macht sich auf den Weg…

Kunstvoll eingebettet in interessante Pro- und Epiloge Ennis gelang hier einmal mehr eine ungewöhnliche Geschichte. Dabei beschäftigt er sich auch mit einem Gedicht von William Blake, weckt Emotionen und präsentiert ein ganz schön blutiges, aber auch sehr konsequentes Ende.

Mit Die Zelle folgt eine weitere Kurzgeschichte, die auf 48 Seiten davon erzählt, wie sich Frank Castle der Polizei stellt. Dadurch wird er in jenes Gefängnis gesperrt, das von einigen Häftlingen beherrscht wird, die von ihrer komfortabel ausgestatteten Zelle aus weiterhin ihre kriminellen Geschäfte steuern. Bei diesen Insassen handelt es sich um jene Männer, die die Verantwortung dafür tragen, dass Franks Frau und Kinder gestorben sind. Diese solide Punisher-Story von 2005 setzte Lewis LaRosa in gut dazu passender düsterer Optik in Szene.

Zum Abschluss gibt es noch ein weiteres Highlight. The End entstand 2004 und spielt in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft. Hier bekommt der Direktor eines Hochsicherheits-Gefängnisses die Anweisung alle Gefangenen umzubringen. Doch dank eines Stromausfalls gelingt es Frank Castle zu entkommen. Die plötzliche Freiheit ist jedoch nicht wirklich ein Fortschritt, denn der Himmel brennt und die USA ist durch einen Atomkrieg völlig zerstört. Auch für die Elite, die sich in unterirdischen Bunkern verkrochen hat, gibt es keine Rettung, denn dafür sorgt schon der Punisher…

Am Zeichenbrett saß diesmal die Zeichner-Legende Richard Corben, dessen zur Abwechslung nicht plastisch, sondern meist flächig kolorierten Zeichnungen sorgen für die nötige apokalyptische Atmosphäre. The End ist der perfekte Schlusspunkt für diese Edition, die zum Glück noch mit einem vierten Band beendet wird.

Heiner Lünstedt

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